Zu Besuch im Norden Irans

Viele Iraner, welche wir auf unserer bisherigen Reise trafen, schwärmten vom Norden des Landes. Das Klima sei anders, es gäbe Reisfelder und Teeplantagen. Auch sind die „Gilanis“ (Einwohner in der Gilan Provinz) für ihr entspanntes Gemüt und ihren Humor im ganzen Land bekannt. Spätestens als uns mehrere sagten, dass man dort richtig gutes Essen kann wollten wir uns eine Reise nordwärts nicht nehmen lassen. Wir freuten uns sehr neues zu entdecken und das kaspische Meer mit eigenen Augen zu sehen. Also planten wir einen Kurztrip nach Rascht, eine berühmte Ortschaft inmitten der Gilan Provinz.

Über das Coachsurfing App fanden wir eine Einheimische, welche uns beim Kauf des Bustickets unterstützte. Nicht nur das, sie gab uns auch eine Hostel-Empfehlung und bot an uns am ersten Abend rumzuführen. Einmal mehr stellen wir fest wie unglaublich nett die Leute zu uns sind.

Die fünfstündige Busfahrt nutzen wir, um Nachrichten zu beantworten und unseren Instagram-Kanal zu aktualisieren. Wir hinken hinterher wie die alte Fasnacht, da kam ein süsser „Nerven-Beruhigungs-Snack“ gut gelegen.

Als wir den Bus verliessen und den Rucksack sattelten traf uns beinahe der Schlag. Es war viel viel VIEL heisser als erwartet und dazu sehr schwül aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit. Wir rechneten mit kühlen Temperaturen und packten sogar noch eine wärmende Jacke ein.

Die Taxi-Chauffeuren wussten offensichtlich Bescheid, wann die Busse ankamen. Sie stürzten sich auf uns wie Tiere. Zum Hostel waren es knapp 7 km, dies zu laufen wäre im Normalfall unproblematisch für uns. Bei diesen Wettergegebenheiten überlegten wir aber nicht lange und entschieden uns für eine Fahrt mit Snap (Fahrdienst im Iran eher für Einheimische). Bevor wir den Snap bestellten, wollte der soziale Domi den Taxi-Chauffeuren eine Chance geben und streckte das Handy mit dem Rechner geöffnet hin. 50‘000 Tuman, wir lachten. No way! Ironischerweise wollte der Snap-Fahrer nach seiner Fahrt nicht einmal Geld von uns, er weigerte sich – Wir seien Gäste.

Wir schlenderten durch die Gassen und kauften uns als erstes etwas für zwischen die Zähne. Es sah aus wie ein Gipfeli bei uns nur anders. Wir dachten das sei sicher lecker, da es dies überall zu kaufen gab.

Im Fress-TÜV-Test von Rebi ist es durchgefallen, abgestempelt als: Keine Sünde wert. 😉 Wir fühlten uns wie eine lebende Attraktion, während wir eine Weile auf einer Parkbank sassen. Das Ziel war nicht aufzufallen, taten es aber offensichtlich trotzdem. Warum kann ich mir auch nicht erklären. Mein Kopftuch sass korrekt und auch sonst sahen wir schon fast aus wie Iranis. Vielleicht war es, weil Domi klatsch nass war vor lauter Schweiss? 😉 Immer wieder wollten sich Einheimische mit uns unterhalten (am meisten mögen wir es, wenn sie ununterbrochen in Farsi auf uns einreden) oder Fotos machen.

Bevor wir noch Starallüren bekamen, checkten wir im Hostel ein und stellten als erstes die Klima-Anlage auf Vollgas. Schade konnte man das Gerät nicht auf unternull stellen. Ganz vorsichtig gingen wir fürs Essen noch einmal raus. Mit unserer Coach-Surfing-Freundin hatten wir uns um 19.00 Uhr verabredetet. Ihr Name war Adefe, eine 38-Jährige, sehr intelligente Frau.

Die Stadt war offensichtlich erwacht. Als erstes gingen wir in ein ruhiges Kaffee. Dort bestellten wir drei Tee’s und kosteten ein berühmtes Dessert, dass schmeckte vorzüglich.

Wir hatten ein tolles Gespräch zusammen. Adefe erzählte uns von ihren Coachsurfing Erlebnissen, von vergangenen Reisen und war sehr interessiert an unserer Geschichte. Sie fragte zum Beispiel, wie wir es aushalten immer zusammen zu sein. Dazu könnte ich einen eigenen Blog schreiben, falls dich das wunder nimmt, ruf mich an.

Beim Bezahlen mussten wir richtig kämpfen, für uns war es selbstverständlich Adefe als Gegenleistung für Ihre Zeit einzuladen. In der iranischen Kultur ist das nicht üblich.

Auf der Strasse war viel los und ich musste schauen, dass ich die anderen nicht verliere. Angst hatte ich auch bei grossen Menschenansammlungen noch nie. Das nächste Ziel war der Bazar. Adefe meinte vor dem Eingang, dass wir mit ihrer Begleitung alles versuchen dürfen. Weiter sagte sie: „Fragt mich alles, was euch interessiert“. Ich stoppte vor einer grossen Schale. Adefe erklärte, dies seien Pistazien. Höh? Ich dachte an den grossen Sack, welche ich ab und zu im Denner kaufe. Diese Pistazien sahen ganz anders aus, weil sie frisch waren. Wir kosteten diese und waren um ein Geschmackserlebnis reicher.

Einige Meter weiter stoppte ich wieder. Dieses Mal durften wir frische Haselnüsse probieren. Die Verkäufer waren sehr freundlich und es war ihnen eine Ehre uns die Schale aufzubrechen.

Ein Fischgeruch strömte in meine Nase. Puh.. wir standen inmitten des Fischmarkts, eine für mich eklige Erfahrung. Adefe erklärte alles rund um die Fische, dies war sehr interessant und ich versuchte aufmerksam zuzuhören. Innerlich dachte ich mir aber: „Sprich schneller oder es passiert hier ein Unglück und ich muss erbrechen“. Wir gingen weiter und leider wurde es nicht besser. Zuerst sah ich nur tote Fische. Als wir diesen Sektor überwunden hatten sahen wir wie geschlachtet wurde und wie sie die Köpfe abhackten. Eines muss man den Iraner lassen, frischer geht nicht. 😉

Der Fischgeruch weichte einem Fleischgeruch. Ich befürchtete schon was jetzt kommt. Der Geruch war mir aus meiner Bauernhof-Kindheit bekannt. Auf den Tischen lagen Schafsköpfe, Innereien, Haut. Bis jetzt tat ich mich schwer schnell zu laufen, weil ich den Muskelkater meines Lebens hatte von der Damavand Besteigung. Aber jetzt gab es nur noch eines, und zwar Flucht nach vorne. Auch Domi stellte keine Fragen mehr, er wollte ebenfalls weg.

Innerlich schnaufte ich auf, als wir Oliven sahen. Die Gilan-Provinz ist berühmt für Oliven. Ich bin kein Kenner, für mich waren das die besten, welche ich je gegessen habe. Frischer geht’s kaum.

Eigentlich meinte ich, wir hätten das Fleisch Thema durch. Fehlanzeige! Noch einmal eine Huft „lachte“ mir entgegen. Herrje, und dann gibt’s Leute, welche die Schweizer Landwirte und deren Handeln kritisieren. Ich lade alle herzlich dazu ein zuerst in fremde Kulturen einzutauchen.

Die Verkäufer sangen laut über ihr Angebot. Wir verstanden nichts, aber es hörte sich an wie ein schrilles Konzert. Einer sang von seinen Oliven und in den Kanonen hörte man Wörter über Früchte und Gemüse. Adefe stoppte bei Kübeln, welche aussahen wie „Charreschmieri“. Sie meinte das sei Granatapfel-Paste. Das kannte ich noch nicht, gierig schnappte ich mir einen Löffeli und probierte. Wir stellten fest: Nicht unsere Präferenz, besser richtiger „Anke“ auf dem Brot als das saure Zeug.

Der Duft wechselte in eine süsse Note und wir sahen, wie das anfangs erwähnte Dessert hergestellt wurde. Es sah sehr einfach aus, aber Adefe meinte die Herstellung der Reisblätter sei eine wahre Kunst.

Meine Augen (ja ich trug die Brille 😉) sahen von weitem Käse und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Lebensmittel-technisch vermisste ich nichts so sehr wie guten Käse. Der Verkäufer war knausrig und wollte uns zuerst nicht recht etwas zum Probieren geben. Ich dachte mir: Komm schon, nach dieser Fleisch-Tortur wirst du uns jetzt wohl ein Stück Käse rausrücken.

Er spürte wohl meine Gedanken und schnitt ein Stück ab. In diesem Moment realisierte ich aus wie vielen Händen wir an diesem Abend schon gekostet hatten. Mein Fazit: Magenprobleme sind zu erwarten, aber man ist ja nicht alle Tage an einem Ort, wo man neue Dinge ausprobieren darf. Erwartungsvoll biss ich in den Käse. Öhm? Es schmeckte salzig und wenig nach Käse. Wir lächelten trotzdem und schluckten das Stück irgendetwas runter.

Wir waren am Ende des Bazars angelangt. Im Vergleich zum Bazar in Teheran oder Täbris war er winzig, dennoch gab es viel zu entdecken.

Wir schlenderten durch die Gassen und Adefe meinte, dass sich die Leute auf der Strasse treffen oder in Cafe‘s anstelle in einen Club zu gehen. Als sie fragte, ob es in der Schweiz auf den Strassen auch so aussieht, verneinte ich. Wir hätten keine Leute welche Unterhosen, Gürtel oder Plüschtiere auf der Strasse verkaufen.

Seit wir nicht mehr „Tourenvelofahrer“ sind, sondern „Backpacker mit Velos im Schlepptau“ verloren wir unseren Tages Rhythmus komplett, resp. mussten den der Iraner adaptieren. Im Iran ist es normal am späten Abend zu Essen. So war unser nächstes Ziel die Street-Food Strasse.

Bei einer Theke lauter Fleisch-Spiesse stoppten wir. Adefe bestellte unterschiedliche Dinge und wir warteten auf das Essen. Ich fragte, ob es üblich sei für Iraner auswärts zu essen. Sie meinte, dass es etwa 50/50 ist. Aufgrund der krassen Inflationen können es sich viele auch nicht mehr leisten und kochen zuhause selbst.

Wie zu allen Speisen gab es Fladenbrot. Es ist Fluch und Segen gleichzeitig. Einerseits ist es lecker, wenn es frisch ist, anderseits schmeckt es nach nicht viel wenn man ehrlich ist.

Als Abschluss stoppten wir bei einem Cay-Place. Wir beobachteten schon den ganzen Abend, dass auch der Umgang unter den Einheimischen sehr freundlich ist. Man kennt einander nicht, hat aber trotzdem das Bedürfnis sich auszutauschen. Ich probierte den Sour-Cherry-Tee. Es war sauer und süss zu gleich, in der zweiten Runde ging ich zurück zum altbewährten und wählte den normalen Schwarztee.

Adefe begleite uns zurück ins Hostel, weil sie beim Weggehen jemanden nicht Tschüss sagte und das unhöflich war. Wir waren müde vom erlebten und wollten uns nur noch hinlegen. So viel zum Plan.

Im Hostel herrschte reges Treiben und eine Gruppe am Tisch winkte uns. Mit der Einstellung: Einen schnellen Tee können wir ja noch schnappen setzten wir uns hin. Daraus wurden mehrere Stunden, assen iranische Backwaren, feierten noch Geburtstag mit dem Hostel-Besitzer, quatschten mit einer Iranerin welche lange in Vancouver wohnte und lachten. Später gesellte sich noch ein Schweizer zu uns und wir sprachen wieder einmal Berndeutsch.

Feste feiern wie sie fallen wäre glaube ich hier die richtige Bezeichnung. Der Iran zeigte mir, dass es gar nicht nötig ist, immer alles durchzuplanen – Am Schluss kommt es immer wie es muss.

Etwas nach 2.00 Uhr betraten wir unser Hostel-Zimmer und fragten uns warum zur Hölle wir unser Zimmer runtergekühlt haben als wollten wir Eisbären züchten.

Rebi September 2022