Um ein Glücksbringer reicher

Im letzten Beitrag „Zelten am Tödürge Gölü“ hast du gelesen, dass wir planten ein Stück zu „Hitch Hiken“. Das war für mich eine neue Erfahrung (ausser den Situationen früher, als wir betrunken einen bequemeren Weg Nachhause wählten 😉). Ich habe aber schon bei anderen oder in Filmen gesehen, dass man ein Schild malt und sich an die Strasse stellt. Also tat ich das nach bestem Wissen auch und stand erwartungsvoll und lächelnd am Strassenrand. Lächelnd deshalb, weil ich auch keine mürrischen Leute mitnehmen würde.

Weit und breit war niemand zu sehen. Oh, ein Auto kommt. Es fuhr weiter, hatte wohl kein Platz. Wieder ein Auto. Schon beladen. Aaaaber jetzt, ein Lastwagen. Tschhh…er will nicht halten.

Zuerst war ich entsetzt über die Dreistigkeit der Menschen. Haha, ich machte gar einen kleinen „Rebi-Aufstand“ (Rückblickend recht naiv, warum dachte ich auch das uns jemand einfach so mitnehmen würde) Ich konnte nicht begreifen, warum uns niemand mitnehmen wollte. Nach ein bisschen nachdenken musste ich mir eingestehen, dass niemand auf zwei gestrandete Velofahrer mit Unmengen an Taschen irgendwo in den Bergen wartet.

Langsam beschlich mich das Gefühl, dass wir am falschen Ort standen. Domi stimmte zu und so fuhren wir 20 km weiter, um an die Hauptverkehrsachse Richtung Erzincan zu gelangen. Eigentlich hätte bald eine Tankstelle kommen sollen. Diese war inexistent und so platzierten wir uns wiederum gut sichtbar am Strassenrand. Ich wieder erwartungsvoll mit dem Schild. Niemand stoppte. Etwas ermutigt „befahl“ ich Domi an die Strasse zu stehen, ich sagte zu ihm: „Wahrscheinlich haben sie lieber Männer“. Aber selbst das half nichts.

Mein Magen knurrte langsam und meine Hoffnung nach einer Mitfahrgelegenheit schmälerte sich von Minute zu Minute. Plötzlich fuhr ein Renault vorbei mit kaputter Stossstange. Ohne grosse Erwartung winkte ich und dann die Überraschung. Das Auto kehrte und zwei Männer stiegen aus. Als sie realisierten, dass wir inkl. den Fahrrädern mitfahren möchten, wollten sie schon weiterfahren. Meine Hartnäckigkeit bezahlte sich aus und wir beluden das Auto als würden wir gerade Tetris 2.0 erfinden.

Die beiden fuhren zwar nur ins nächste Dorf, angesichts der Tatsache, dass wir kein Mittagessen hatten, war das schon super. Bei einer Tankstelle kauften sie noch ein Wasser für uns und keine fünf Minuten später standen wir auf dem Dorfplatz in İmranlı. Das Dorf lebte. Es war Mittagszeit und es wimmelte nur so von Autos, Leuten, Marktständen usw. Die beiden Räder und die Taschen lagen am Boden und wir beeilten uns mit dem Beladen, sodass wir schnell wieder einen Überblick hatten.

Jeder andere würde jetzt wahrscheinlich erstmal Pläne schmieden, was wir als nächstes tun sollten. Aber wir waren hungrig und so kümmerten wir uns zuerst ums leibliche Wohl. Wir wurden etwas abseits des Getümmels fündig und sahen eine kleine Tür zu einem Ekmek (Bäcker) Die Leute drückten sich regelrecht rein. Ein gutes Zeichen, Domi opferte sich und drückte sich ebenfalls in den ultra kleinen Verkaufsraum. Wir ergatterten uns ein noch heisses Fladebrot und bissen genüsslich rein.

Neben uns versuchte ein Mann sein Beil zu richten. Domi hätte ihm gerne geholfen, das böse Rebi meinte aber „weiter geht’s wir brauchen noch Früchte und Gemüse“.

Das Menschen-Gewimmel wurde grösser und ich hatte Mühe einerseits Domi nicht zu verlieren und anderseits zu schauen das mir niemand etwas entwendet. Plötzlich sah ich vor mir eine Schweizer-Flagge aufgedruckt auf einem Shirt. Der Träger fragte uns: „Hello, are you tourists?“ Und ob wir das sind.

Er erzählte uns, dass er das Shirt bei einem Besuch in der Schweiz kaufte und erkundigte sich, ob wir Hilfe bräuchten. Wir waren etwas verdutzt und kurz darauf folgten eine Reihe an Angeboten: Der Mann (sein Name ist übrigens Ozer) fragte, ob er für uns einkaufen soll, oder ob wir in ein Restaurant bevorzugen, oder ob wir doch lieber eine Stadtführung hätten. Wir erklärten das wir nur etwas Essen möchten und danach eine Möglichkeit suchen um nach Erzincan / Erzurum zu gelangen.

Er meinte, dass Bus die beste und wahrscheinlich auch einzige Lösung sei und dass er uns zur Busstation begleiten würde. Dieses Angebot nahmen wir dankbar an. Nicht weil wir nicht selbst ein Ticket kaufen könnten, sondern weil man mit den Fahrrädern gerne abgezockt wird als Touri.

Das Problem ist (vielleicht willst du ja auch in die Türkei mit dem Velo 😉), dass man online ein Ticket kauft zum Einheimischen-Tarif. Dann steht man an der Haltestelle und sobald der Chauffeur die Velos sieht, drehen bei ihm alle Sicherungen durch. Er will dann plötzlich für den Transport der Velos 50 oder 100 Dollar – Währenddessen Einheimische Reissäcke, Nähmaschinen und übermässig viele Koffer kostenlos transportieren.

Gut führte Ozer für uns die Diskussionen an der Busstation und verkündete uns dann, dass der nächste Bus um 15.00 Uhr nach Erzincan ginge mit lediglich zwei freien Plätzen. Wir buchten die Plätze spontan und hofften das alles klappen würde.

Ozer bot uns an, zu seiner Familie fürs Mittagessen zu gehen. Er telefonierte mit der Familie und sagte anschliessend: „Natürlich macht ihr keine Umstände, die Familie wird euch lieben“. Ja gut, lieben müssen sie uns nicht gerade aber etwas zwischen die Zähne ist sicher keine verkehrte Idee. Glücklich bedankten wir uns für die spontane Einladung.

Das Dorf, wo die Familie lebt sei nicht weit von Imranli weg. Mit nicht weit meinte er 3-4 km. Sein Auto war noch in der Reparatur (zum Glück wie ich später feststellte). Seine Mutter war zufällig in Imranli am Einkaufen, leider war auch ihr Auto zu klein für Domis Panzer und mein Ferrari. Ozer rief seinen Onkel an und dieser meinte, dass das Velofahren ins Dorf eine Zumutung wäre – Viel zu anstrengend bei dieser Hitze. Wenigstens einer mit Velofahrer Herz 😉.

Als Alternative bot uns der Onkel an, die Räder in seiner Tierarzt-Praxis zu lassen. Er übernehme den Hütedienst und so rollte ich ein paar Minuten später meinen Ferrari durch die Praxis in eines der Zimmer. Poster von Stieren zierten die Praxis-Wand, der Anblick erinnerte mich an den Swissgenetics-Katalog.

Im kleinen Dorf angekommen staunte ich nicht schlecht. Es gab auch dort leben, obwohl es sehr abgelegen war. Wir stiegen aus dem Auto und betraten die Terrasse. Von dort hatte man einen guten Blick auf die anderen Häuser und auf einen Hügel wo ein Monument von „Atatürk“ zu sehen war.

Ich fühlte mich wie früher, als ich mit meinen Eltern an ein Fest durfte (oder musste 😉). Damals folgten wir dann immer einander bei der Hände-Schüttlerei und versuchten uns die Namen irgendwie zu merken.

Sehr ähnlich war die Situation hier. Der Reihe nah schüttelten wir die Hände und nannten unzählige Male unsere Namen. Mehrhaba – Mehrhaba – Mehrhaba.. Nachdem wir alle gegrüsst hatten, erklärte Ozer: „Das ist die Mutter, die Grossmutter, die Urgrossmutter, da noch eine Grossmutter, dass sei der Onkel und dies der Grossvater usw. Und da noch die Tante.“ Unterhalten konnten wir uns nur via Ozer, alle sprachen nur Türkisch.

Neugierig wurden wir nach unserer Arbeit gefragt und wir erkundigten uns über diverses zu Dorf und Kultur. Unterbrochen wurden wir mit der Botschaft: „Wir können rein, Essen ist fertig“. Mein knurrender Magen freut sich über die Botschaft.

Meine Augen leuchtenden als ich alle die auf dem Bild oben abgebildeten Leckereien sah. Es gab eine „Cobra“, eine Linsen-Suppe mit Bulgur. Diese schmeckte mir wahnsinnig gut. Zugegeben, ich bin auch Suppen-Süchtig, diese war aber ein echter Gaumenschmaus. Der Grossvater neben mir pimpte seine Suppe mit ordentlich „Biber“, dies ist grobkörnige Paprika. Ich tat es ihm gleich und musste dann meine Zunge mit Joghurt neutralisieren.

Domi neben mir hat es mehr auf die Marmelade abgesehen. Diese schmeckte vorzüglich, die Urgrossmutter hatte sie am Morgen frisch zubereitet. Das Ganze wurde mit noch warmen Fladenbroten abgerundet, welche immer wieder wie von Zauberhand an unseren Tellerrand gelangten. Hättest du aufgehört zu essen, oder hättest du einfach wie wir weiter gemacht?

Ich glaube, dass spätestens, wenn die noch warmen Fladenbrote mit selbstgemachter Butter und Schafskäse von den Schafen nebenan bestrichen werden – Da überfrisst sich doch jeder. Alles was aufgetischt wurde war aus dem eigenen Garten oder aus dem Dorf. Dies nicht um ein besserer Mensch zu sein oder dem Lifestyle wegen. Sondern weil dies die günstigste Möglichkeit ist sich zu ernähren.

Als wir fast fertig waren mit dem Essen bekam ich vom Grossvater einen Glücksbringer geschenkt. Es ist ein Islamischer-Anhänger. Obwohl es nicht meine Religion ist, hatte ich sehr Freude und war gerührt. Sehr eine schöne Geste.

Ein anderer Onkel betrat den Raum. Er ist der „Bürgermeister“ vom Dorf wo wir waren. Ich stand auf, sagte Merhaba und wurde mit einem freundlichen Kopfnicken begrüsst. Er hatte einen lustigen Schnauz und er wirkte etwas aufgeregt. Warum wird sich später noch zeigen 😊

Traditionsgemäss beendeten wir unser Mahl mit einem Cay(also mehr als einer versteht sich). Der Schnauz-Onkel musterte uns intensiv und sagte dann zu Ozur, dass er mit uns Touristen ins Museum möchte. Das Museum war ein Raum, in welchem der Schnauz-Onkel eine Ausstellung über das frühere Leben gemacht hat.

Wir standen auf und im vorbei gang wollte ich noch etwas Peynir (Käse) klauen. Aus Versehen landete mein Finger in der falschen, nämlich der Butter-Schale. Die Mutter beobachtete mich in diesem Moment und schaute mich verwundert an. Sie dachte wohl, als nächstes füllt sie sich noch die Hosensäcke. Da sage ich nur entlarvt, aber man muss Zuschlagen, wenn’s gut ist, oder? 😉.

Mit Butter-Geschmack im Mund liefen wir 10 min zum Museum. Nun checkte ich auch, weshalb der Schnauz-Onkel aufgeregt war. Sein Ziel war nämlich, dass wir in der Schweiz vom Museum erzählen, sodass er später Schweizer-Touristen Gruppen zu Besuch hat. Also, wenn ihr einmal dort seit dann geht ins Museum 😉!

Vor dem Museum gab es noch eine „Heirats-Wand“ natürlich gabs auch dort noch ein Erinnerungsbild.

„Ring-Ring“, der Alarm von Ozer’s Handy ertönte. Die Zeit verging wie im Flug und es war bereits 14.15 Uhr. Wir mussten zurück, ansonsten würde der Bus ohne uns losfahren. Der Grossvater, nicht weniger nervös als der Schnauz-Onkel, wollte mit uns unbedingt noch Erdbeeren pflücken.

Nicht einmal die Handvoll vorzüglich schmeckende Erdbeeren konnten den immer noch sehr penetranten Butter-Geschmack in meinem Mund überdecken. Nach der Beeren Pflückerei gings weiter ins Treibhaus. Wir erhielten noch zwei reife Salat-Gurken. Und bevor wir uns mit einem Gruppenbild definitiv verabschiedeten, wurden wir noch mit einem Glas Marmelade beschenkt.

Als wir zurückfuhren erzählte uns Ozur dass er in einem Monat nach Amerika gehen wird. Wir hörten interessiert zu. Nicht etwa für ein paar Wochen, sondern für 10 Jahre. Er will dort seine Arbeit als Anwalt weiter ausbauen. Bis es aber soweit ist, wird er noch die Zeit mit der Familie geniessen. Es ist traditionell, dass sich die Familie in den Sommer-Monaten im Dorf trifft und im Winter sind alle an der warmen Küste in Antalya.

Wir nahmen unsere Räder aus der Tierarzt-Praxis und fuhren zur Busstation. Dort bereiteten wir alles feinsäuberlich vor, wir gaben uns Mühe unser Hab & Gut so kompakt wie möglich hinzustellen – Damit der Chauffeur nicht noch auf die Idee kommt noch mehr zu verlangen.

Unter einem Baum am Schatten warteten wir. 14:58 Uhr ging ich noch pinkeln, einfach zur Sicherheit. Ich musste wieder einmal über mich Schweizer lachen… als würde im Ausland resp. hier in der Türkei ein Transportmittel pünktlich kommen. Auch hat man keine Gewähr, wo man abgeholt wird, so trugen wir alles über eine stark befahrene Strasse. Dabei wurden wir von Armee-Angehörigen mit Gewehren beobachtet. Ganz normal.

Der Bus stoppte und dann ging es „wiä im höuzige Himmu“. Zack, Klappe auf und dann schossen sie unser Zeugs rein und „moschteten“ die Räder regelrecht rein. Uiiii GAR NICHT GUT. Ich rief Domi das er sofort kommen soll. Er muss das stoppen, bevor es einen grösseren Schaden gibt. Er ging wie ein starker Krieger dazwischen und rettete unsere Räder, indem er die Schrauben des Lenkers löste.

Ununterbrochen machten die Chauffeuren Druck. Ich nahm unsere Lenkertaschen und gab Ozer das Geld fürs Ticket. Retour-Geld bekam ich keines, Anfänger-Fehler, wenn man es nicht passend hat. Wir winkten Ozer zu und der Bus fuhr los. Etwa 500 Meter weiter schlossen sich dann auch die Türen.

Wie unsere Busfahrt weitergeht, erfährt ihr im nächsten Blog-Beitrag.

Rebi Juli 2022