Sechs Monate unterwegs

Reisen regt mich zum Nachdenken an, bringt mich an meine Grenzen, verändert nachhaltig meine Lebensansichten, erweitert meinen Horizont, zwingt mich dazu mich mit mir zu beschäftigen, raubt mir alle Energie und füllt mich zugleich mit so viel positiver Energie, wovon ich noch sehr lange zerren kann.

Sechs Monate sind passé, wir haben so viel gesehen, unglaubliche Erlebnisse gehabt und unzählige bereichernde Menschen getroffen. Diese Reise ist für mich nicht nur ein Fortbewegen in unbekannte Destinationen, sondern es ist auch ein Weg zu mir selbst. Zugegeben, dieser Weg – insbesondere der Start war hart. Darüber habe ich in einem vorhergehenden Blog schon ausführlich berichtet, einmal ist dann auch gut, gell 😉.

Diese Reise sah ich und sehe ich nach wie vor als gute Möglichkeit mein damaliges und auch noch jetziges Verhalten zu hinterfragen. Ich will nicht mehr länger mit meinem Verhalten die Chancen verpassen mich mit meinen eigenen Bedürfnissen auseinander zusetzen und diese zu leben. Vorsicht, jetzt wird es tiefgründig.

Lebensfragen ohne Antworten

Wer bin ich? Was will ich im Leben? Was nährt mich? Welche Dinge machen mich glücklich und was widerstrebt mir? Wo fühle ich mich wohl? Will ich etwas erreichen und wenn ja was? Es geht so weit, dass ich über den Sinn des Lebens nachdenke. Wofür existiert der Mensch? Was ist unsere Aufgabe auf diesem Planeten? Jedes Mal, wenn solche Gedanken kommen, versuche ich mir selbst zuzuhören. Manchmal habe ich sofort Antworten darauf. Meistens aber, waren es Momente unterwegs die mir Wege zeigen. Natürlich immer im Wissen das sich Wege ändern können.

Ich lernte in diesen sechs Monaten viel über das Thema Stress und merkte, inwiefern Stress gut und gesund ist und wann es mir schadet. Eine solche Reise ist prädestiniert dafür. Auch wurde ich mir bewusst, dass ich das „kurzzeitige Überlebensprogramm“ welches bei Stress eingeschaltet wird zu lange missbraucht habe. Ich habe das „hochgefahrene System“ gebraucht um die Produktivität zu erhöhen. Falls du das auch tust, dann wirst du früher oder später nicht mehr in den Entspannungszustand kommen. Auch machst du dein Körper kaputt, höre auf damit.

Bei dieser Thematik hatte mir ein online Kurs sehr weitergeholfen. Während Acht Wochen habe ich jeden Tag abwechselnd Körperübungen, Yoga und Mediation praktiziert. Immer Freitagmorgen gab es dann eine Zoom-Sitzung. Meistens war ich bei irgendeiner Familie in einem Zimmer mit halbstabilen Internet. Mein Fazit ist, dass so etwas gut machbar ist von unterwegs, sofern man das will.

Mein Denken veränderte sich & ist mittlerweile nicht mehr schwarz-weiss. Habe ich X, Y & Z bin ich glücklich. Habe ich diesen Job ist alles gut. So einfach ist es nicht, es sind viel tiefgründigere Themen. Versteht mich richtig, ich versuche jetzt auch nicht wie eine Irre herauszufinden wie ich nach der Rückkehr leben will – Nein, nein. Aber es schadet sicher nicht einmal in sich hineinzuhorchen. Und weisst du, was das schönste und spannendste dabei ist? Die Ansichten mit jemanden zu teilen, welcher auch auf dem Weg ist – Domi und Ich gehen den gleichen Weg und doch sind die Themen unterschiedlich.

Beziehung mit meinem Trek

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert, ich denke das erklärt es am besten. Domi & Ich haben im Vorfeld gut überlegt, welches Fortbewegungsmittel das geeignetste ist für unsere gemeinsame Reise. Der Gewinner war das Fahrrad – Mein Trek-Velo & ich durchlebten in diesem Jahr viele Phasen zusammen. Es gab Momente da waren wir stolz auf unsere Leistung und feierten das Leben, auch bergauf und bei Gegenwind. Es gab aber auch Zeiten da fluchte ich das Velo an und war wütend auf die Schaltung. Das Trek, resp. mein Ferrari konnte nicht antworten, dass war schon ein bisschen gemein. Du denkst jetzt sicher, ein Velo kann keine Gefühle haben. Das würde ich nicht unterschreiben, auf einer Tourenveloreise führt man eine Beziehung mit seinem Velo, also darf es auch Gefühle haben.

Die Beziehung (Mein Ferarri und Ich) führten wir seit vier Monaten, als wir die Grenze zum Iran passierten. Der Plan war senkrecht durch den Iran zu reisen, mit der Fähre in die Arabischen Emirate zu gehen und danach durch Saudi Arabien bis nach Kairo zu radeln. Wie wir sind dachten wir: Wird zwar anspruchsvoll, aber interessiert uns – Machen wir.

Aha, da sind sie die Grenzen

Stell dir vor, du hast einen solchen Plan und du realisierst das dein Körper das nicht schaffen wird. Keine Ahnung, was du lieber Leser für eine Einstellung zu dir selbst hast. Ich zumindest gehöre ins „Sturre-Böcke“ Lager und will erreichen, was ich mich vornehme. Normalerweise schaffe ich das auch, manchmal hat es seinen Preis ja, aber im Großen und ganzen kenne ich mich gut genug das ich mir nur Dinge zumute die schaffbar sind.

Herausforderungen

Der Iran war anders als ich mir vorgestellt hatte. Das trockene Klima war das eine, mein Körper adaptiert heisse Temperaturen gut. Nebst der körperlichen Challenge (woran man sich gewöhnt) kam etwas zweites dazu, nämlich die erschwerte Nahrungs-Suche. Nicht das du jetzt denkst, wir fanden gar kein Essen mehr – Nein, nein, sonst wären wir sofort Nachhause geflogen 😉

Viel mehr war die Problematik auf dem Land, weil es keine kleinen Supermärkte mehr gab, wo man die Güter des täglichen Bedarfs zusammen suchen konnte wie in der Türkei. Im Iran dominierten sehr kleine Ein-Mann-Shops mit einem nach Lust & Laune Sortiment. Rückblickend glaube ich fehlte es mir irgendeinmal an allem: Vitamine, Proteine usw. Auch wurde es herausfordernd genügend Wasser in einer trinkbaren Qualität zu finden.

Konsequenzen

Ich erinnere mich noch, als es gestern gewesen wäre. Es war wieder einmal einer dieser schwierigen Tage. In meinem Kopf kreiste der Gedanke zu Hitch-Hiken, alles wäre doch besser ohne das Fahrradfahren. Als ich Domi von meiner Idee erzählte, hatten wir eine angeregte Diskussion. Er konfrontierte mich mit der Idee auf eine Hartnäckige Art und Weise und wollte das Problem endlich bei der Wurzel packen.

Ich zugleich, wie eine sturre Echse begriff immer noch nicht, dass ich körperlich eigentlich fertig war. Ende Gelende. Immer noch meinte ich, dass eine Pause oder eine Busfahrt das Problem schon lösen wird. An diesem Abend brauchte es eine ganze Rolle Toiletten-Papier, ich weinte wie ein Schlosshund. Ich wollte Domi nicht enttäuschen, „aufgeben“ war keine Option für mich. Es ist doch nur ein bisschen Velofahren.

Die Reise, die gemeinsamen Erlebnisse, die Landschaft.. Alles war unglaublich toll und das sollte jetzt vorbei sein nur weil ich „Würze“ wie mich Domi gerne in solchen Situationen nennt, es nicht schaffe meinem Körper das zu geben was er braucht? Normalerweise kann ich doch einfach „äs Schitt nachelegä“ und alles funktioniert wieder. Dieses Mal nützte wohl auch eine ganze „Schitterbigi“ nicht mehr.

In Domi schlugen zwei Herzen. Einerseits liebt er das Fahrradfahren, er kam gerade in den Flow. Anderseits kenne ich niemanden welcher so ein gutes Herz hat und so viel Mitgefühl hat wie er. Er tröstete mich und machte mir keinen Vorwurf. Ah doch, eines sagte er: „Warum muss ich dich immer in die Ecke drängen, bevor du deine Gedanken mit mir teilst?“. Er hatte Recht, warum zur Hölle „leide“ ich auf einer Reise die eigentlich das schönste auf der Welt ist. Hier ist anzumerken, dass dieser Zustand nicht seit Beginn war – Haha, nicht das das Gefühl aufkommt ich hätte mich Monate abgequält.

Wie weiter?

Alles nahm seinen Lauf und wir entschieden uns auf den Bus umzusteigen. Eine sehr schwierige Entscheidung, welche vieles veränderte. Plötzlich waren wir auf Transportmittel angewiesen, konnten nicht mehr selbst entscheiden und tauschten unsere geliebtes Zelt gegen mal saubere und mal dreckige Böden. Unsere Fahrräder sendeten wir in Teheran nach Schweden, dies brauchte zwei Tage und für den Preis könnten wir zwei Monate im Iran überleben. Aber jede Lösung hat seinen Preis.

Später stellte sich heraus, dass ein Fahrradfahren bei diesen Temperaturen so oder so undenkbar gewesen wäre für uns. Auch haben wir durch das „andere Reisen“ wie ich es jetzt Mal nenne sehr, wirklich sehr viele tolle Erlebnisse erlebt. Auch den intensiven Kontakt mit Einheimischen hatten wir teilweise dem Couchsurfing zu danken. Es war also nicht wie man vermuten könnte ein Rückschritt nicht mehr Fahrrad zu fahren, sondern einfach etwas anderes.

Mit dieser Entscheidung war es aber nicht getan, die wahre Veränderung musste in meinem Kopf stattfinden.

Los geht’s

Um diesem Kopf eine Pause zu geben, schmiedeten wir weitere Pläne. Nachdem Iran wollten wir mit der Fähre nach Dubai übersetzen und anschliessend bis in den Oman. Genau das machten wir auch und es war eine richtig tolle Zeit. In Dubai hatten wir zwar einen Schock, aber das prägt auch nachhaltig. Den Oman bereisten wir grösstenteils mit einem Mietauto – „Läck“ war das ein Komfort!

Nachdem Oman machten wir eine Woche Ferien in Sardinien. Domis Eltern (welche seit diesem Jahr in Schweden leben) haben eine Villa mit Pool für sie, uns beide, sowie den Bruder von Domi und seine Partnerin gemietet. Wir genossen eine Woche lang Sonne, Meer und Strand und nicht zu vergessen köstliches italienisches Essen. Einfach Dolce Vita. Zugegeben, die Fliegerei nach Sardinien war umständlich und dann hatten wir noch das Pech, dass Domis Sexy-Tasche nicht ankam. Aber die guten Gespräche und das Harmonische Zusammenleben gekopplet mit der abwechslungsreichen Landschaft machte alles weg.

Anschliessend flogen wir nach Schweden, dort planten wir eine monatige Pause. In dieser Zeit dürfen wir im Gästehaus wohnen, welches Domi gebaut hatte. Mehr Komfort geht nicht.

Als meine Eltern von unserem Plan erfuhren, entschieden sie sich die Chance zu nutzen und gerade eine Woche Ferien zu machen. Zu meiner Freude haben sich der Idee noch meine Schwester Regula und ihr Partner Tinu angeschlossen. Für diese vier sind wir auch gerne eine Woche ins Büro von Zauggs gezogen. Es war unglaublich schön meine Familie wieder bei mir zu haben. Was wir unternahmen und Bilder dazu gibt’s ein anderes Mal. Mein Bruder Thomas kümmerte sich Zuhause um Hof & Haus, Merci Brudi!

Pläne, Ideen, keine Ahnung mehr

Als wir Pläne machten gingen wir beide davon aus, dass die Pause uns beiden gut tun wird. Das erlebte verarbeiten und dem Körper Ruhe zu gönnen. Beim Domi ist sicherlich mehr der Kopf der ein bisschen abschalten durfte. Ihm gelang das aus meiner Sicht sehr gut, indem er seinem Vater half eine Werkstatt zu bauen und sich sonst Zeit für sich nahm.

Mir dagegen gelang es semi-gut. Geistig bin ich stolz auf mich, weil ich runterfahren konnte. Ich stellte keinen Wecker mehr, las ein Buch, schlenderte mit dem Hund um den See und genoss den prächtigen Herbst. Zwischendurch in die Sauna, den Hühnern zuschauen beim picken oder die Katzen kraulen. Paradiesisch trifft es glaub ich gut.

Im Vorfeld dachte ich, dass genügend Zeit sein wird, um das Blut zu testen, anfällige Supplements zu organisieren und ein paar kg an Gewicht zuzulegen. Danach, Anfangs November können wir dann weiter nach Südamerika. Das war der Plan – Tönt stimmig, nicht wahr?

Mitte Oktober realisierte ich, dass es weit mehr ist als das Blut zu testen und ein bisschen mehr Kuchen zu futtern. Ich merkte, wie sich gewisse Beschwerden nicht ausmerzen lassen mit mehr Ruhe. Daraufhin fing ich an ein Ernährungsprotokoll zu schreiben, um herauszufinden welche Lebensmittel was auslösen. Da könnte ich jetzt noch 10 Seiten schreiben, interessiert wahrscheinlich nicht so hart. Also lasse ich es Mal.

All das und noch mehr bedeutete, dass es schlichtweg unrealistisch und dumm wäre jetzt nach Südamerika zu fliegen und dort Vollgas Fahrrad zu fahren. Klar teilten wir unsere Gedanken auch mit unserem nahen Umfeld, in der Hoffnung jemand hat eine gute Idee.

Ich höre meinen Vater: „Wollt ihr nicht einfach in Europa Fahrrad fahren?“. Oder meine Freunde: „Kommt doch Nachhause“ oder meine Therapeutin: „Ihr müsst niemanden etwas beweisen“. In

Domi & Ich lieben nichts so sehr wie das Unbekannte. Uns faszinieren Herausforderungen, wie wenn wir uns nicht verständigen können oder der Umgang mit einer fremden Währung oder neues Essen. Somit sind wir unsicher beim Thema Europa. Das Herz sagt, dass wir weiterreisen möchten und noch mehr entdecken. Das wir niemanden etwas beweisen müssen war Domi schon immer klar und mir mittlerweile auch GLAS klar. 😊

Auf Bauch, Herz und Budget hören

Für manche mag es wohl komisch klingen, wenn wir sagen wir haben keinen Plan. Für einmal haben wir das nicht. Wir haben schon stunden und Tage dafür investiert, um zu diskutieren, recherchieren um eine für uns stimmige Lösung der Weiterreise herauszufinden.

Einen Bus ausbauen und nach Afrika? Nach Südamerika fliegen und dort etwas ausbauen? Überwintern und im Frühling nach Alaska und die Panamerica fahren? Mit dem Maultier los ziehen? Oder doch mit dem Pferd und Kutsche? Für uns sind viele Faktoren, welche die nächste Entscheidung beeinflussen. Natürlich wirken sich Plan-Änderungen auch aufs Budget aus. Wenn wir wissen was wir tun, dann lassen wir es euch wissen.

Fazit sechs Monate Weltreise

Vor mir brennt das Kaminfeuer, Domi zieht gerade eine Leitung von aussen ins Technik-Rümli und macht einen heiden Lärm und ich sitze am Küchentisch und bin dankbar. Dankbar zu leben. Dankbar hier sein zu dürfen. Dankbar für das intensivste und zugleich schönste Halbjahr meines Leben. Und vorallem sehr Dankbar den allerbesten Partner an meiner Seite zu haben. Ja Domi, damit meine ich dich – Danke das wir uns auf dieser Reise während über 4‘320 Stunden Seite an Seite aushalten und nach dieser gemeinsamen Zeit einander immer noch schätzen, den Respekt voreinander nie verloren haben und uns lieben wie am ersten Tag. Ja das Ende ist bisschen kitschig, sorry dafür. Aber ehrlich, falls du einen Partner hast, geh mit ihm Reisen – Ihr werdet unvergessliche Erinnerungen zusammen haben wovon ihr noch ewigs zerren könnt.

Du denkst jetzt sicher, wir können auch einfach auf dem Sofa sitzen, einen Film schauen und Chips essen. Ja, dass ist auch eine Idee – Will mich nicht einmischen. 😉

Rebi Oktober 2022