Nachts unterwegs

Es ist 22.41 Uhr als wir in unserem Zelt von einem Geräusch geweckt wurden. Das Geräusch ist kein Vogel, kein Igel, der Specht auch nicht. Was wir hörten und warum wir nachts durch eine ungarische Stadt rasen erfahrt ihr im nachfolgenden Text.

Seit unserem letzten Ruhetag hatten wir schon fast 300 km in den Beinen und auch an diesem Tag rollte es gut. Etwa um 15.00 Uhr erreichten wir die Stadt Békéscsaba. Der Plan war ein Kaffee zu trinken, Nachrichten zu checken, danach Essen einzukaufen und Schlafplatz suchen. Wir schauten auf der Karte, wo es theoretisch möglich sein könnte. Wo würdest du in einer Stadt zelten?

Unsere Idee war im Stadtpark. Gesagt getan, schon fuhren wir durch viel Verkehr dorthin. Wir stellten fest, dass der Park sehr gepflegt war und die Städter dort ihren Sport ausübten. Es gab eine Tartanbahn für Jogger, viele Sportgeräte, Bäume usw. Domi sein Vorschlag war seitlich von der Tartanbahn im Wald das Zelt aufzubauen. Wir standen dort und ich überlegte kurz ob ich damit einverstanden war oder nicht. Ich war hin und her gerissen, letzte Nacht schlief ich nicht gut, weil zwei Igel vor dem Zelt durchdrehten und ich immer meinte es wären Leute.

Mit dem Satz „Wir gehen weiter, es ist wieder Waldboden und es hat Geräusche“ nahm mir Domi die Entscheidung ab. Ich spürte eine Erleichterung, wir finden sicher einen Platz wo nicht die ganze Stadt ihre Freizeit verbringt – Dachte ich.

Wir waren noch ca. 20 km von der rumänischen Grenze entfernt. Wir beschlossen dem Radweg zu folgen und irgendwo vor der nächsten Stadt Gyula das Zelt aufzustellen.

Der Velo-Computer zeigte 98 km, ich dachte mir, eine gute Chance endlich den 100erter zu knacken. Domi fuhr etwas hinter mir, seine Beine waren recht müde. Ich stoppte am Radweg und sah ein paar ältere Leute am „gartnen“. Hmm, ich dachte mir: „Etwas unheimliches hat die Situation, aber ja“ Domi spürte das und sagte: „Was wollen sie uns machen“. Haha er hat Recht. Dieses Mal fragte er, natürlich konnten sie nur ungarisch und verstanden unser Anliegen gar nicht. Einer zeigte zurück und sagte etwas von Camping, der andere zeigte nach vorne und sagte Hotel. Wir dachten beide, hat keinen Sinn und verabschiedeten uns trotzdem dankend.

Es war ca. 18.00 Uhr und auf dem Radweg war noch ziemlich viel los. Wir fuhren immer weiter, rechts und links Wald, nirgends ein Stück Gras. Ich war mir sicher, dass da noch etwas kommt. Domi stoppte wieder und zeigte auf eine Wiese. Sie war eckig und in der Nähe war ein heruntergekommener Hof. Hmmm.. Ich sagte: „Lass uns weitergehen“.

Plötzlich sahen wir rechts zwei Tische und Waldboden. Das ist unser Platz. Wir stellten unsere Räder ab und bereiten Abendessen zu. Es gab griechischen Salat – Mhh 😊 Nachdem Essen nahmen wir das obligate Kafi und bereiten dann das Zelt vor. Normalerweise steht alles bevor wir essen, wenn wir aber an öffentlichen Orten zelten, warten wir immer ein wenig bis es eindunkelt.

Um ca. 20.30 Uhr waren wir beide im Schlafsack. Ich döste schon ein wenig, währenddessen Domi noch eine Serie schaut. Ich bat ihn nur einen Kopfhöhrer im Ohr zu haben, wenn ich Schlafe könnte mich jemand stehlen. Plötzlich hörte ich ein Geräusch und sah ein Licht. Domi hat seinen Kopf gehoben und gab mir zu verstehen nichts zu sagen.

Ich hörte ein Foto-Geräusch und sah ein Licht das direkt in unsere Richtung zeigt. Etwa 1 min später ging Domi zum Zelt raus. Er sagte mir, was genau passiert ist: „Jemand fuhr mit dem Fahrrad auf unsere Höhe auf dem Radweg. Er stellte den Ständer geräuschvoll ab und stieg vom Rad.“ Domi meinte zuerst, diese Person müsse wohl pinkeln. Dem war nicht so. Er sagte mir weiter: „Die Person machte drei Fotos. Eines von der Richtung, wo er kam. Eines in die andere Richtung und eines zu uns, also vom Zelt. Nach dem drei Fotos zündete er noch gegen unser Zelt. Danach stieg er nicht aufs Rad, sondern stosste das Rad davon.“ Während Domi mir das erzählt überlegte ich.

Mein Kopf rauchte, erklären konnte ich mir das nicht. WTF! Komische Situation. Ich merkte wie auch Domi überlegt. Er stand mittlerweile vor dem Zelt und leuchtete die Umgebung ab. Wir waren mitten im Wald, wenn hier jemand ist, könnte er sich sehr gut verstecken. Auch ich war mittlerweile im Vorzelt und sagte zu Domi: „Was haben wir für Optionen, was ist die beste Idee?“. Wir entschieden sehr schnell alles abzubauen und zu verschwinden.

Normalerweise dauert es schon eine Zeit bis wir Abfahrtbereit sind. Nicht dieses Mal. Wir waren beide fokussiert. Domi rollte die Schlafmatte, währenddessen ich schon die Lenkertaschen, die Helme etc. aus dem Zelt räumte.

Immer wieder leuchtete ich die Umgebung ab. Das Adrenalin strömte im Körper. Weil ich am Abend zuvor noch einige 100 Meter weiter fuhr wusste ich dass dort Häuser kamen. Ich überlegte mir, dass die Person evt. in diesen Häusern lebt und so nicht weit hatte um „Verstärkung“ zu holen.

Mein Gedanke war nach Gyula zu fahren, weil dies die nähere Stadt ist. Domi machte einen anderen Vorschlag, nämlich zurück nach Békéscsaba zu fahren. Er sagte, dass er glaubt das dies die sicherere Stadt ist, sein Vorschlag war nachvollziehbar. Wir diskutierten keine Sekunde und fuhren los.

Wir fuhren schnell, ich etwas vor Domi, sodass er zu jederzeit die Situation im Blick hatte. Von unserem Nachmittag-Stop wussten wir, dass es ein City-Wlan gibt, so entschieden wir uns ins Stadtzentrum zu fahren, um online zu checken ob es einen Camping-Platz gibt. Wir dachten, dass wäre die beste und unkomplizierteste Lösung, weil wir am Morgen einchecken können, es war bereits 23.30 Uhr. Ernüchternd stellten wir fest: Es gibt gar kein Camping.

Ich konnte das fast nicht glauben, aber ja es war so. Gut, wir checkten Booking und Airbnb. Im Verhältnis zu anderen Städten gab es sehr wenig Unterkünfte. An zwei Orten fanden wir eine Telefonnummer. Natürlich nahm niemand ab. Die dachten wohl, da rufen Spinner an um diese Zeit.

Nächste Idee war, zu einer Art Pension zu fahren, die wir online fanden. Evt. ist dort noch jemand wach. Paar Kilometer später wurden wir enttäuscht. Ausser ein agressiver Hund machte sich niemand bemerkbar. Shit! Gut, wir fuhren zurück ins Stadtzentrum. Langsam gingen uns die Ideen aus, wir dachten das es evt. Hotels gibt die nirgends online sind. Wir fuhren etliche Strassen ab – Nirgends ein Hotel.

In den Strassen waren sehr wenige Leute unterwegs. Zwei Drittel davon sahen nicht vertrauenswürdig aus, wir entschieden uns gegen das fragen. Immerhin muss ja nicht jeder wissen das wir nach Mitternacht nicht wissen, wo wir schlafen sollen. Die wenigen die wir nach Hotels fragten, verstanden uns nicht. Was jetzt? Was hättest du getan?

Eine letzte Idee hatten wir: Zurück in den Stadtpark, rein, Zelt aufstellen und schlafen. Am Morgen, noch bevor die ersten Jogger kommen wieder weg. Hah, dass wäre ja super gewesen, wenn das geklappt hätte. Fehlanzeige, die grossen Tore waren geschlossen.

Vorher, auf dem Weg zum Park sahen wir noch ein Schild von einem Hotel. Es stand Check-In 24h/7. Das ist unsere Adresse dachten wir. Leider wurden wir auch dort enttäuscht, niemand öffnete die Türe.

Wir standen nun also vor dem Hotel, etwa 200m von einem Lastwagen-Parkplatz und hatten keine Ahnung wo schlafen. Es war halb Zwei in der Nacht und wir spielten mit dem Gedanken das Zelt auf der anderen Seite der Strasse in eine Ecke zu stellen. Auffälliger würde es kaum gehen.

Gut haben wir unsere Idee noch einmal überdenkt und sind in eine seitliche Strasse abgebogen.

Wir konnten um uns herum nichts erkennen, die Stirnlampen wollten wir nicht betätigen – Nicht dass ein Anwohner noch die Polizei ruft. Das Gras war Knie hoch. Ich dachte an meinen Vater, er hätte gar keine Freude. Aber es ist eine Ausnahmesituation, wir rollten das Zelt aus und stellten den Wecker auf 06.00 Uhr.

Am morgen räumten wir alles zusammen, einige Ungaren fuhren vorbei. Es war Ihnen sichtlich egal das wir dort waren.

Wir dachten „schnell weg hier“, Frühstücken können wir in der nächsten Stadt. Nach 15 km fuhren wir in den Aldi. Normalerweise lassen wir die Räder „unbewacht“ draussen. Dieses mal passte ich Draussen auf, Domi ging alleine eine „Belohnung“ einkaufen. Er kaufte mehr als ein Gipfeli..

An einem See in Gyula kochten wir Kafi, assen und besprachen die letzte Nacht. Wir glauben richtig gehandelt zu haben. Vielleicht war es nur eine betrunkene Person, vielleicht sind wir aber auch einem Raubüberfall davongekommen.

Danke Beine habt ihr uns in dieser Nacht nicht im Stich gelassen und die nächtliche Aktion mitgemacht.

Rebi Mai 2022