Machen Sofas glücklich?

Nachdem wir einmal längs durch den Iran gereist waren, erreichten wir nach einer neunstündigen Busfahrt das Terminal in Bandar Abbas. Im Vorfeld warnten uns viele vor den heißen Temperaturen ganz im Süden. Wir dachten uns nur, bis jetzt haben wir es auch überlebt, wir werden nicht abkratzen wegen ein bisschen 40 Grad. So etwas prophezeite zumindest Meteoblue. Als wir zum Bus ausstiegen merkten wir, was uns alle sagen wollten. Es war nicht nur warm, die hohe Luftfeuchtigkeit machte es sehr drückend oder besser gesagt erdrückend.

Im Vorfeld organisierten wir über Couchsurfing eine Unterkunft. So konnten wir dem Snap-Fahrer nur die Adresse mitteilen und ein paar Minuten später erreichten wir verschwitzt das Appartement unseres Host Saroush. An diesem Tag ging er später zur Arbeit, sodass er uns noch in Empfang nehmen konnte. Die Wohnung, er, etwas war komisch – Wir konnten aber nicht sagen was. Egal, erstmal Frühstücken war die Devise und wir würfelten ein paar Dinge zusammen, sodass es einer Mahlzeit würdig war.

Nachdem er zur Arbeit ging, merkten wir wie müde wir eigentlich waren. Wir ruhten uns etwas aus, um danach genügend Energie zu haben, 2-3 Dinge für ein Hochzeits-Geschenk zu besorgen. Den Weg in die City wollten wir zu Fuß zurücklegen. Wir kamen genau 200m weit, als ein Typ aus einem Gebäude schreite, von wo wir kommen. Wir sahen durch das Schaufenster rein und konnten eine Gruppe Männer erkennen. Alle waren schick gekleidet und saßen offensichtlich nichts tuend an den Schreibtischen.

Wir wollten nicht unfreundlich sein und so betraten wir das Büro, es war eine Real Estate Firma, wie wir später merkten. Alle lächelten, als ginge es um den Kauf einer Villa. Das wir in einem Zelt wohnen, wussten sie da noch nicht. Das kalte Wasser und den Tee lehnten wir nicht ab und so saßen wir inmitten der Männer-Scharr. Keiner sprach Englisch, aber sie fanden es sichtlich spannend uns dort zu haben.

Etwa 10min später fuhr ein Peugeot vor die Türe. Die Männer gaben uns zu verstehen, dass dies ihr Chef sei. Der größte „Schigolo“, den man sich vorstellen kann, kam herein und alle schüttelten ihm brav die Hände. Auch wir wurden begrüßt. Er sagte irgendetwas von Schengen-Visa, aber auch er konnte weder Deutsch noch Englisch. Innert kürzester Zeit rief er mehrere Leute an, um dann festzustellen, dass auch von denen niemand Englisch sprach. Eine erstklassige „Sprachbarriere-Situation“, welche seinesgleichen suchte 😉.

Er zeigte uns mit den Händen das wir mitkommen sollen. Neben dem Glastür-Eingang gab es eine Treppe, die in sein Büro führte. Das Büro war protzig und ein Blick genügte mir um sicher zu sein, dass hier keine Büro-Höchstleistungen vollbracht werden.

Der „Schigolo“ welcher Babak *Name nicht geändert von der Redaktion 😉 hiess, fand einen Mitarbeiter welcher ein paar Brocken Englisch sprach. Er musste sich mit an den Tisch setzen und wir tranken noch mehr Tee. Warum wir dort saßen, wussten wir beide nicht genau, aber nach über einem Monat im Iran waren wir uns solche Situationen gewohnt und warteten Mal ab.

Nachdem seine Assistentin uns den etwa sechsten Tee brachte und mir schon übel war von den Schokoladen-Täfeli auf dem Tisch, lud er uns in seine Villa ein. Er meinte, er veranstalte eine Party am Swimming Pool. Wir dachten uns, wie nett, wahrscheinlich lädt er alle seine Mitarbeiter zu sich ein nach der Arbeit.

Diese Verabredung warf unseren ganzen Plan über den Haufen. Die Chance in die reichere Gesellschafts-Schicht reinzuschauen wollten wir uns aber nicht entgehen lassen. Wir bedankten uns für die nette Geste und nahmen die Einladung für 14.00 Uhr an.

Huch, wir waren schon lange nirgends mehr eingeladen. Was soll ich nur anziehen? Ernüchternd stellte ich fest, dass meine Reise-Garderobe nichts für eine Pool-Party hergab. Domi tröstete mich mit den Worten: „Wir sind wie wir sind und das wird schon passen“.

Mit den vorhandenen Mittel versuchten wir aus uns zwei wilden Gestalten etwas Gesellschaftstaugliches herauszuholen. Ich duschte mit einer halben Tube Bodywash, knipste meine Zehennägel und machte etwas Mascara an die Wimpern. Ich musste schauen, dass ich einerseits nicht wie Graf Dracula aussah und anderseits mir nicht ausversehen in die Pupille stocherte. Nach einem halben Jahr ohne jegliche Schminke war ich aus der Übung. Als ich die neugekauften Röhren-Jeans, die am Bazar verhandelten Leder Sandalen und mein Allzeit-Hemd trug, war ich glücklich. Mehr war nicht rauszuholen. Auch Domi sah super aus in seinem violetten Hemd, er machte sich aber im Gegensatz zu mir keinen Kopf darum.

Pünktlich waren wir zurück beim Büro, um festzustellen, dass wir noch nicht gehen. Ein Kollege von Babak kam und fragte uns: „Beef oder Chicken?“. Ich dachte mir, was für eine Frage, hoffentlich beides und noch viel mehr. Grundsätzlich war unsere Erwartungshaltung an die Party sehr hoch. Und

Wir stellten uns vor, dass seine Mitarbeiter und deren Anhang dort sein werden, eine gemütliche und ausgelassene Stimmung herrschen wird und es Essen in Hülle und Fülle gibt. Diese Vorstellung bekamen wir, weil uns die Mitarbeiter immer wieder von der Villa ihres Chefs erzählten und auch Babak selbst war nicht gerade bescheiden bei seinen Erzählungen.

Um zur Villa zu gelangen, saßen wir eine halbe Stunde im Auto. Unterwegs hielten wir bei einem Fast-Food Schuppen. Ich war verwirrt als der Kollege von Babak mehrere Schalen Essen abholte. War das die Antwort auf seine „Beef or Chicken“ Frage? Immer noch dachte ich an ein großes Essens-Buffet und das, was wir abholten, war wohl etwas das noch fehlte.

Wir fuhren in die Einöde raus und erreichten den Villa-Eingang. Ein Security begrüßte und wir fuhren in das Anwesen rein. Boah, Domi und Ich sahen uns an und dachten das gleiche: „Lieber er als wir“.

Der Umschwung war groß und protzig, aber nichts hatte Stil. Es gab ein Fitness-Park und beleuchtet wurde der Außenbereich mit Straßen Lampen. Das Einzige, was mich faszinierte waren die Dattel-Palmen, die Zweige waren reich mit Früchten behangen.

Wir betraten den Eingangsbereich und uns strömte eine angenehme Kühle entgegen. Bei über 45 Grad draußen war das eine Wohltat für den Körper.

Domi und mir dämmerte es, wir hatten alles komplett falsch verstanden. Wir waren nämlich die einzigen Gäste. Die einzige Stimmung, welche herrschte, war unsere – Die zu kippen drohte. Auch war kein Buffet in Sichtweite. Stattdessen aßen wir das Fast-Food Essen aus den Alubehälter.

Für Babak war es wohl wichtig, dass wir bei ihm waren. Für uns dagegen war es eine komische Situation durch und durch. Einerseits weil Babak und sein Kollege nicht wirklich an uns interessiert waren. Wir checkten nicht, weshalb wir genau eingeladen wurden. Interessante Gespräche gab es keine und immer wieder erwähnten die beiden, dass sie mit uns in den Swimming Pool wollten.

Ich war etwas zurückhaltend mit schwimmen gehen. Nicht das ich den beiden nicht traute, dennoch dachte ich, vielleicht wollten sie wieder Mal eine Frau im Bikini sehen. Nachdem essen haben wir Billiard gespielt und ich habe Babak gezeigt wo „Bartli den Moscht holt“ beim Töggelen.

Danach musste sich Babak erstmal ausruhen von seiner wahrscheinlich harten Arbeit am Vormittag. Er ging schlafen. Auch sein Kollege chillte ein wenig. Ich fragte, ob ich mich etwas umsehen darf. Noch so gerne, ich solle unbedingt die ganze Villa anschauen.

Das muss man mir nicht zweimal sagen. Schon im Erdgeschoss wo die Küche, das Bad und ein Wohn/Essbereich war, standen mehrere Sofas. Als ich das erste Stockwerk betrat sah ich dort weitere Sofas. Gemäß den Erzählungen wohnt Babak allein in der Villa. Er hätte zwischendurch Frauen Besuch ja, aber dafür braucht man doch keine Sieben oder mehr Sitzgruppen? Das war richtig eigenartig und ich weiß bis heute nicht, warum man so viele Sofas hat!!!

Meine Entdeckungs-Tour ging weiter. Alle Zimmertüren waren offen. Überall war ein Doppelbett zu sehen, typische Gästezimmer.

Meine Villa-Tour beendete ich und ging wieder zu Domi runter. Wir beschlossen die Situation auszunützen und kurz ins Pool zu springen. Vorsichtshalber nahm ich alle meine Wertsachen mit zum Pool. Ich weiss, wie lächerlich das klingt, immerhin wurden wir eingehladen. Mir war die Situation immer noch skurril, so ging ich auf Nummer sicher.

Hach, dieser Schwumm im kühlen Nass war herrlich. Wir zogen ein paar Bahnen, ein wahrer Genuss war das. Um 17.30 Uhr wollten die beiden wieder zurück ins Büro fahren. Bis dahin langweilten wir uns noch auf einem der Sofas und pünktlich standen wir bereit zur Abfahrt.

Babak ließ auf sich warten, etwas anderes war nicht zu erwarten. Bevor wir losfuhren, forderte er uns noch auf zu erzählen, wie großartig es in seiner Villa war. Dies filmte er. Wir wollten nicht undankbar sein und sagten etwas in Englisch in die Kamera.

Als er auf der Rückfahrt noch eine Instagram-Live-Schaltung machte dämmerte es mir langsam. Es ging ihm nicht um uns „Menschen“. Es ging viel mehr darum der Welt zu zeigen, dass er Gäste hatte. Das er ein sozialer Mensch war und gut zu den Reisenden schaut.

An diesem Nachmittag prasselten so viele Eindrücke auf mich herein. Wir fragten auch jede Menge Dinge, um mehr zu verstehen. Bis jetzt waren wir im Iran bei Einheimischen, welche gefühlt in der Mittelklasse leben. Zu sehen, wie die Oberschicht dort lebt, war eine interessante Erfahrung.

Wir waren froh, als wir zurück waren. Das Ganze hatte auch etwas Trauriges. Babak hat materiell alles und noch viel mehr als man braucht. Ihm fehlt aber ein Boden unter den Füssen und ein Umfeld, dass ihn mag. Er versucht gegen außen ein guter Mensch zu sein, wahres Interesse hat er aber nur an Geld und Macht.

Zurück in Bandar Abbas merkten wir auch, was an unserem Host komisch war. Er erwähnte immer wieder, dass seine Frau und sein Kind in einer anderen Stadt wären und es keine Züge geben würde, um zurückzukehren. Allmählich vermuteten wir, dass er gar keine Familie hatte und uns das nur vorgaukelte. Es war aber komisch, wir schliefen ja in einem Kinderzimmer. Weshalb sollte er ein Kinderzimmer haben, wenn er keine Kinder hat? Auch die Tatsache das er jeden Abend im Wohnzimmer auf dem Boden schlief, obwohl er ein Schlafzimmer mit Doppelbett besitzt, verwirrte uns. Sein Kühlschrank war zu 80% gefüllt mit Datteln und in den Seitenfächern waren lauter Sachen welche nicht gekühlt werden. Oder lagerst du auch Haferflocken bei 6 Grad? Im Schlafzimmer war ein weiterer Kühlschrank, ich getraute mich nicht reinzuschauen. Immer wenn wir draußen waren, fragte er via WhatsApp, wo wir sind und was wir machen würden. Dazu hatte er kein Motiv, er wollte es einfach wissen.

Nach der „missglückten Party“ und dem komischen Host waren wir nicht traurig, als wir Ausflüge auf die Inseln machten und danach mit der Fähre nach Dubai gingen.

Rebi November 2022