In der grossen Pause
Vor einiger Zeit drückte ich mal wieder die Schulbank. Nicht für einen Bachelor, auch für keinen Master, sondern für etwas, was mir persönlich wichtig war. Nämlich wollte ich ein kleines bisschen spanisch lernen. Vielleicht werde ich es nie wieder gebrauchen, aber man weiss nie, was das Leben für einem bereit hält. Der schöne Nebeneffekt beim Erlernen einer Sprache ist der Einblick in die Kultur. Keine Angst, im heutigen Blog geht es nicht ums Wörtli lernen, auch gibt es kein Diktat. Vielmehr darfst du Teil von Diskussionen sein, welche jeweils in der großen Pause geführt wurden.
Meine online Recherche ergab, dass die Stadt Sucre in Bolivien prädestiniert war, um eine Schule zu besuchen. Falls du selbst eine Reise nach Südamerika planst und wie wir kein Wort spanisch sprichst, dann melde dich unbedingt. Wir haben ein paar Tipps auf Lager bezüglich wo & wie du das wichtigste für den Alltag lernst.
Gesagt, getan und so meldete ich mich für eine fünftägige Schnellbleiche an. Ich habe vorgängig schon einen Einstufungstest gemacht, dass war aber unüblich. Alle anderen Studenten kamen einfach am ersten Tag, sprachen ein paar Wörter mit dem Zuständigen und wurden dann Freestyle in ein Niveau eingeteilt. Südamerika halt. In meiner Klasse waren wir zu fünft, alles Beginner. Für mich war das Lernen ungewohnt, außer ein paar Kursen war ich das letzte Mal während meiner Weiterbildung so richtig in der Schule. Das ist auch schon eine Weile her, merke ich gerade. Also wohlverstanden, all die Situationen beim Reisen lernten mich auch (vielleicht, nein wahrscheinlich mehr als jedes Studium), aber dazusitzen und eine relativ trockene Materie in mein Hinterstübchen zu versorgen daran musste ich mich gewöhnen. Auch war ich damit beschäftigt, zu schauen das ich nicht im Sitzen einschlafe, weil es zum Teil ermüdend war. In den ersten Tagen haben wir sogar noch „Stealth Camping betrieben, dass war so mittelmäßig Gemütlich. Oder wo geht’s du mitten in der Nacht pinkeln, wenn du vor einer Kirche in einem Park parkierst? Auch das Frühstücken war spannend.
Das Erlernen der Sprache machte mir aber grundsätzlich Spaß. Ich blühte fast ein wenig auf, im Gegensatz zu Französisch war spanisch irgendwie logischer für mich. Auch weil man es meistens so sagt wie man es schreibt und nicht bei jedem Strichli das in irgendeine Richtung zeigt das Mundwerk kehren muss. Aber item. Was mich aber noch fast mehr Erfüllte nebst der reinen Sprache ist der Zugang zur Kultur. Im Unterricht erzählte die Lehrerin viel mittels Praxisbeispielen und so durfte ich einige Dinge verstehen. Es gab einige Themen die Domi und mich interessierten. Uns gelang es eher selten mit Einheimischen in Kontakt zu treten und so nutzte ich diesen Kanal auch um Antworten auf unsere Fragen zu erhalten.
Irgendeinmal konnte mein Spanisch-Schwamm aber nichts mehr aufsaugen und so war ich froh über den Austausch mit meinen Klassen-Gspändli. Wohlgemerkt, wir unterhielten uns nicht in Spanisch. Wir waren Niveau 1a Beginner und wenn du einander nicht dreißig Mal fragen willst: „Wie geht’s/wo kommst du her/was machst du hier“ dann muss man eine Sprache wählen die beiden Parteien geläufig ist. Englisch durfte es richten.
Am Morgen kontrollierten wir jeweils im Plenum die Hausaufgaben. Dabei fühlte ich mich gerade wieder wie ein Kind. Das Einzige, was fehlte war der grüne und rote Stift damit ich mich selbst hätte abstrafen können. Aber das meiste war so oder so richtig, da genügte der Kugelschreiber 😉 Danach kam das erlösende Wort: Pause. Am hintersten Ende des Korridor gab es einen winzigen Raum, dort hat Paola, die Chefin des Ladens, Café bereit gemacht. Ich schnappte mir eine Tasse und gesellte mich zu den anderen auf die Terrasse. Die Sonne wärmte von oben und es herrschte eine friedliche Atmosphäre.
Als wir alle im Kreis standen kam der nach der Pause geplante Marktbesuch zur Sprache. Für mich war ein bolivianischer Markt mittlerweile etwas recht Normales oder besser gesagt Geläufiges. Aus dem ersten Teil unserer Reise im Osten schockte mich nicht mehr so viel. Vor allem im Iran waren wir regelmässige Marktgänger, da dies so normal wurde wie das Spiegelei zur Rösti.
Auch muss man sagen, dass wir vor Sucre bereits über einen Monat in Bolivien gereist sind und regelmäßig auf Märkten unser Essen kauften. Am Tag vor dem Schulstart war ich mit Domi auch schon auf dem Sucre-Markt und hatte schon ein bisschen Vorsprung gegenüber den anderen.
Voller Neugierde fragte ich also die anderen welche Markterfahrungen sie schon gemacht hätten und wie bei ihnen die Preisverhandlungen abgelaufen sind. Zu meinem Erstaunen war noch niemand auf dem Sucre-Markt, obschon alle schon eine ganze Weile im Ort waren. Auch sonst waren ein paar gekaufte Äpfel das höchste der Gefühle. Beim Thema Preisverhandlung waren sich alle einig – außer ich. Der Tenor war, dass man doch keine Preise verhandelt. Es sei schon so sehr günstig.
Aha, Aha, da wollen also Leute mit mir über Preise sprechen an Orten, wo sie selbst noch nie waren. Ein Fall für die Reisepolizei dachte ich mir. Bevor du dich jetzt fragst, wer die Reisepolizei ist – Die gibt es nicht, ist eine Erfindung von mir. Aber das sollte es geben für Leute, die beim Reisen Zeugs erzählen ohne Hände und Füße oder nachplappern, was sie gehört haben.
Noch in meinen Gedanken versunken konfrontierte mich jemand mit einer Gegenfrage: „Do you bargain the prices?“ Ohne nachzudenken, nickte ich: „Sure, always, especially in Bolivia.“. Dafür kassierte ich sehr vorwurfsvolle Blicke. Uhhhh…
Das Gespräch ging weiter und jemand fragte mich, wie lange ich noch in Bolivien sein werde. Ich erklärte, dass wir schon über einen Monat in Bolivien sind und ich ursprünglich den Plan hatte drei weitere Woche in Sucre zu bleiben, um die Sprachschule zu besuchen. Jetzt gedenke ich aber nur noch eine Woche da zu sein und dann weiter nach Paraguay zu reisen. Auf die Frage, warum ich meine Pläne änderte, hatte ich auch eine Antwort. Ich erklärte, dass die in Bolivien herrschende Armut mich zum Nachdenken anregte. Am Anfang der Weltreise konnte ich viel besser damit umgehen. Mittlerweile gelingt es mir nicht immer gleich gut, dass wegzustecken. Auch sind es sehr viele Eindrücke, die ich nicht mehr gleich schnell verarbeiten kann.
Jemand hackte ein und meinte, dass wenn für mich die Armut ein Problem darstelle, warum ich den die Preise am Markt verhandeln würde. Ich könnte ja die Lokalen Supporten. Da hat gerade jemand eine sehr schwierige und kontroverse Diskussion angestoßen, wie ich finde. Ich erklärte, dass wir über Trinidad durch den Dschungel gefahren sind (dort geht normalerweise kein Backpacker durch) und das ich sehr viele Leute gesehen habe, die man nicht supporten konnte. Sprich sie haben nichts verkauft oder zum Essen angeboten. Domi und mir ist das aufgefallen und wir interpretierten daraus, dass sie gerade mal genügend haben, um zu überleben und gar keine Ressourcen, um noch etwas zu produzieren.
Manchmal waren es eine Art Siedlungen 2-3h entfernt vom letzten Dorf, wo Leute in einer Art Lehmhäuser zuhause waren. Auf dem Bild siehst du eine Landschaft wo es nicht ungewöhnlich wäre das Häuser irgendwo sind, besonders in den abgeschiedenen Teilen des Landes.
Oder wie hier, das gelbe Haus, fern ab von jeglicher Zivilisation:
Nicht selten stellten wir uns genau die Frage, wie man jetzt hier helfen könnte. Und jetzt kommt ein Backpacker, der sich ausschließlich innerhalb des Hopp on – Hopp off Busses bewegt und will mir vorwerfen, dass ich die Lokalen nicht supporten würde. Aha, Aha.
Anstelle die Faust im Sack zu machen, probierte ich meine Haltung anhand Beispielen zu erklären. Wenn man als Tourist einfach immer alles bezahlt was einem gesagt wird, dann wird es automatisch für den nächsten Touristen auch teurer. Zum Beispiel geht man auf dem Markt und jemand sagt die Kaki oder das Kilo Avocado oder was auch immer kostet 1.50 CHF = Der Tourist denkt, oh günstig bezahle ich. In diesem Moment ist er in der Preisstruktur von seinem Heimatland, von dorther macht er seinen Vergleich. Die Verkäuferin denkt, wenn der bereit ist 1.50 CHF zu zahlen, dann mal schauen was der nächste willig ist auf den Tisch zu legen. So schaukelt sich das hoch bis am Schluss der Gringo-Preis in keinem Verhältnis mehr ist.
An abgelegenen Orten passierte uns das selten. Im Gegenteil, die Leute waren ehrlich und gaben uns so auch die Chance etwas mehr zu zahlen, einfach weil es sich gut anfühlte. Oder noch extra ein paar handgewobene Armbänder zu kaufen, um zu helfen eine Existenz aufrecht zu halten.
Zurück zur Kaki und den Avocados. Versteht mich richtig, ich bin auch der Meinung – Leben und Leben lassen. Wenn die Kaki offiziell (also für den Lokalen) 50 Rappen kostet, dann kann ich 75 oder wenn meine Laune gut ist auch mal 1 CHF zahlen. Aber man muss dann schon bedenken das man bereits beim doppelten Preis ist.
Für alle Schweizer, dass würde heißen du bezahlst an der Kasse für dein Gerber Fondue 30 CHF, anstatt 15 CHF sowie der vor dir an der Kasse. Fühlst du es? Wenn nein, dann auch gut. Wenn ja, auch gut. Jedem sein Empfinden dazu ist ein anderes.
Mit einem zweiten Thema machte ich mich noch unbeliebter. So sagte ich, dass ich mich daran stören würde das wir als nicht einheimische bei Touristenattraktionen vielmals das doppelte, wenn nicht das drei oder vierfache zahlen müssen. Meine Klassen-Gspändli sahen das gar nicht so wie ich. Sie meinten, dass ja diese Eintritte die einzige Einkommensquelle der Lokalen sei.
Eine Aussage, die mich vermuten lässt, dass wir nicht die gleichen Touristenattraktionen besuchten auf dem Südamerikanischen Kontinent. Ich argumentierte, dass Bsp. beim Eintritt des Torres del Paine wahrscheinlich kaum ein Lokaler profitiert. Die Einnahmen gehen zur Firma / Staat. Wenn man für ein Zelt auf einem Camping (weil man nicht sein eigenes mitbringen darf) 80 Dollar und mehr zahlt, dann weiss ich nicht welchem Einheimischen in einer Lehmhütte das zugutekommt? Ich habe den wunden Punkt getroffen, so lassen es mich zumindest die Blicke der anderen vermuten.
Das Einzige, was man tun kann, ist einen Einheimischen direkt anzuheuern. Als Guide oder als Begleiter in irgendeiner Form. Oder wie wir es oft taten, irgendwo im Busch bei einer Familie Früchte kaufen, einfach etwas wo die Wertschöpfung direkt demjenigen zugutekommt.
Ich legte nach mit dem Beispiel, dass wir mit unserem Fährticket von Puerto Yungay nach Puerto Natales je etwa 6 Chilenen mitfinanzierten. Der Einheimische-Preis ist ein Bruchteil, von dem was der Tourist zahlt. Und das im eigentlich entwickelten Chile. Bei solchen Dingen fragte ich mich auch immer, ob der Tourismus für ein Land nicht eine Einkommensquelle ist & wenn ja, warum straft man den Touristen mit solchen Dingen ab. Klar, man hat kurzzeitig mehr in der Tasche, aber hinterlässt beim zahlenden gemischte Gefühle.
Wenn genügend Leute lange genug dein Handeln hinterfragen, zerpflücken und dich mit Vorwürfen konfrontieren kann die Gefahr bestehen das man selbst unsicher wird. Die Pause war genügend lang, sodass man mich mit Gegenwind anblasen konnte. Bei einem anderen Thema wäre ich wohl eingeknickt, aber bei diesen Dingen wo ich schon sehr viele, tiefe und emotionale Erfahrungen hatte habe ich meine Meinung gebildet.
Hier noch eine kleine Anmerkung. Es ist wichtig zu unterscheiden mit welchem Motiv man unterwegs ist und welcher Typ Mensch man ist. Wenn du zum Beispiel ewig auf einen Monat Bolivien Reise hin gesparst hast und jetzt drei Städte besuchst und die halbe Zeit in Hotels bist – ja dann verstehe ich auch, wenn du es einfach mal so lässt wie es ist. Weil man darf, nie vergessen das sich schon nur das über etwas Gedanken zu machen Energie braucht. Manchmal will man die Energie für etwas anderes brauchen.
In einer anderen Pause habe ich dann aber definitiv den Vogel abgeschossen. Dieses Mal ging es um die Touristischen Plätze. Persönlich bin ich nämlich kein Fan dieser „Travel Cafés“ und „Fancy Food Places“. Viel lieber esse ich Lokal Almuerzo (immer mit dem Risiko eine Nacht auf der Toilette zu verbringen) oder trinke meinen Café bei Marktfrauen im Mercado. Dies mache ich nicht, weil es günstiger ist. Sondern weil ich so die Lokalen unterstützen will, die Leute und die Kultur spüren…
Mit diesem Punkt brachte ich dann meine Klassengspändli auch zum Nachdenken. Auf die Frage, weshalb sie nämlich nach der Schule ins „Typical-Sucre-Cafe“ gehen anstatt in den oberen Stock auf dem Markt hatte niemand eine Antwort.
Was denkst du über diese Dinge? Wie handhabst du diese Themen? Findest du es richtig Preise zu verhandeln, oder würdest du als „reicher“ westlicher Tourist bezahlen was dir gesagt wird? Gehst du lieber in Restaurants, wo du weißt, wenn du bestellst, was in etwa kommen wird? Oder bist du wie wir und zeigst blindlings auf die Karte in der Hoffnung etwas Neues zu entdecken?
Ich bin der Überzeugung, es gibt kein richtig oder falsch. In meiner Meinung ist es aber wichtig, dass du dir deines Handelns und den Konsequenten zumindest bewusst bist.
Rebi August 2023
Hej hej ich bin auch deiner Meinung ! Wenn man so reist wie ihr muss man aufs Geld schauen und nicht einfach ausgeben. Ganz viele liebe grüsse Lotti u Hans