Göreme – Ballone und eine spontane Pause

Um die türkische Hauptstadt Ankara zu verlassen, müssen wir einen Hügel hochfahren. Dieser war so steil, dass Anhalten und ein erneutes Losfahren schlichtweg nicht möglich waren. Währenddem ich kräftig in die Pedale tritt, dachte ich über die letzten Tage in der Stadt nach. Die Bewohner waren distanziert und die Sehenswürdigkeiten waren auch nicht besonders ansprechend. Im Vergleich zum lebhaften Istanbul herrschte eine gedrückte Stimmung.

Vielleicht lag es auch am Wetter, immer wieder regnete es. Dazu kam, dass wir fast einen Tag lang versuchten, ein Paket Nachhause zu senden. Das Ziel war Dinge, welche wir zuvor aussortierten in die Schweiz zurückzusenden. Darunter befand sich auch mein Laptop, der beim geplanten Versand Probleme verursachte. Die Türkische Poststelle „Ptt“ weigerte sich gänzlich und DHL wollte 120 Euro für einen Paketversand nach Schweden (Schweiz sei verboten). Der Schmerz (gute 2kg mitzufahren) ist schon gross, aber die Vernunft siegte und ich habe beschlossen den Laptop rumzufahren, bis es eine bessere Lösung gibt.

Endlich sind wir zuoberst am Hügel angelangt und ich brauchte eigentlich schon wieder einen Ruhetag. Der Gedanke an unser nächstes Ziel, Kappadokien, motivierte mich weiterzufahren. Seit ich Domi kenne schwärmte er von diesem Ort und ich freute mich darauf dies mit eigenen Augen zu sehen.

Bevor wir aber die berühmte Höhlenarchitektur, die einzigartigen Felsformationen und das Ballon-Spektakel in Kappadokien bestaunen steht noch der nicht weniger bekannte „Tuz Gölü“ auf dem Programm.

Der „Tüz Gölü“ ist ein Salzsee und nachdem Vansee der zweitgrösste See in der Türkei. Er hat fast 33% Salzanteil. Wir fuhren Richtung Kulu, dort sind wir dann abgebogen. Dies nicht, weil wir Schotter Strassen bevorzugen, sondern weil es dort einen Damm über den See gibt.

Im Dorf Kulu erfuhren wir bei einem Cay, dass 90% der Bewohner nicht im Ort leben und arbeiten, sondern ihr Geld in Deutschland, Dänemark etc. verdienen. Um die Familie zu besuchen und günstig Ferien zu machen, kehren sie in ihre Heimat zurück.

Bevor wir den Damm passieren queren wir noch das Dorf Bozan. Ich würde von mir behaupten schon einige „Käffer“ gesehen zu haben. Aber das war die Endstufe. Zwischen Kühen, Eseln, Schafen, Ziegen und Gänsen auf der Strasse suchten wir nach einer Wasserquelle. Bei der Moschee wurden wir schliesslich fündig. Während Domi das Wasser füllte, überlegte ich mir, dass alle Tiere ausnahmslos in Kürze von den Bewohnern gegessen werden. Am 9. Juli ist Opferfest in der Türkei, dann ist es soweit.

Die aufziehenden Gewitter Wolken meinten es glücklicherweise gut mit uns und so kamen wir trocken über den See. Am Damm Ende sahen wir eine Salzfabrik. Ununterbrochen fuhren LKW’s vorbei und transportierten Salz vom See irgendwohin. Wir fragten einen Bagger-Fahrer, ob wir unser Zelt am See aufstellen dürfen. Halbschreiend gab er uns zu verstehen, dass er nichts versteht und hier aber auch zelten nicht erlaubt sei. Wir gaben nicht auf uns versuchten noch mittels Übersetzer die Situation zu klären. Es nützte nichts, ein Nein ist ein Nein. Es war schon gegen 18.00 Uhr und wir fuhren halt noch ein paar Kilometer, bis wir einen Platz fanden.

Kurzer Exkurs zum Platz: Auf den ersten Blick war er perfekt. Flach mit nur ein paar kleinen Büschen, die Heringe gingen super rein, die Aussicht top und kein Lärm. Die Moschee hörten wir nur leise und es waren weit und breit keine Hunde zu sehen. Das Ganze muss einen Hacken haben, dachte ich mir. Erst am morgen wurde mir der Hacken bewusst, nämlich als der Toiletten-Gang anstand. Tja, dies ist wohl das Trainings-Lager für die bevorstehenden Wüsten-Gegenden. Bäume für ein bisschen Privatsphäre gehören der Vergangenheit an.

Wir fuhren weiter Richtung Sereflikoçhisar um einzukaufen. Domi gab mir ein Zeichen, dass ich das T-Shirt aus den Leggins nehmen soll. Ich begriff sofort, einigen Herren war es sichtlich langweilig und da ist Frauen anstarren ein netter Zeitvertrieb. Aus Respekt trage ich lange Hosen und kein Trägershirt. Solche Situationen sehe ich entspannt, solange mir niemand zu Nahe kommt. Sonst gibt’s dann ein Hosenlupf!

Das nächste Zwischenziel war Aksaray, eine etwas grössere Stadt. Seit einer Weile haben wir eine türkische SIM, diese muss wieder aufgeladen werden. Auch brauchten wir Sonnencreme und mussten noch ein paar Dollar zu Liras wechseln. Während wir diese Notwendigkeiten erledigten, sah ich mich insgeheim schon am Ballone schauen.

Wir hatten bereits einige Kilometer in den Beinen als wir am vierten Tag aufwachten und das Zelt zusammenräumten. Heute ist das Ziel nach Göreme zu fahren. Nur noch etwa 70 km und 600 Höhenmeter trennten uns von den Ballonen. YEAH!

Mental hatte ich an diesem Tag Schwierigkeiten. Eigentlich ist diese Etappe nichts außergewöhnliches für Türkische Verhältnisse und absolut schaffbar. Trotzdem kam ich nicht in die Gänge, immer wieder kreisten die Gedanken um eine Pause. Ich spürte wie mein Körper rebellierte, er wollte einfach keine Kraft mehr haben. Auch das üppige Frühstück änderte nichts daran, die Energie gelang nicht in die Muskeln. Dazu kam der Erzfeind jedes Velofahrer auf einen Besuch. Der Herr Mister Gegenwind persönlich.

Ich stellte das Rad am Strassenrand ab, pinkelte und musste dabei weinen. Was zur Hölle ist mit mir los? Domi versuchte mich zu beruhigen und ermutigte mich. Er sagte auch, dass ich im Windschatten fahren soll.

Wir kamen sehr schleppend voran wegen dem Wind, am Mittag zeigte der Velocomputer noch keine 40 km an. Domi sagte optimistisch „die Hälfte haben wir“. Ich ass so viel Pide wie noch nie in der Hoffnung das meine Beine merken das wir für heute noch nicht fertig sind.

Der letzte Anstieg ist geschafft und ich sehe endlich die faszinierende Landschaft von Göreme. Wir halten an einem Touri-Hotspot an. Mir fliessen wieder die Tränen über die Wangen, dieses Mal vor Freude und Dankbarkeit. Ich war stolz auf uns, wir sind an einen Ort geradelt, wo die Leute normalerweise sich mit dem Bus chauffieren lassen, nachdem sie mit dem Flugzeug nach Istanbul flogen.

Nicht weit von uns sah ich einen grossen Ballon, wo man posieren konnte für einen Dollar. Daneben stand ein Kamel. Einige Leute reihten sich, um aufs Kamel zu steigen und danach einen unvergesslichen „Schnappschuss“ zu machen. Ich ertappte mich beim Gedanken: „Diese Leute wären auch besser mit dem Velo hier her geradelt, dann würden sie jetzt nicht das Kamel mit ihren Kilos belasten“. Gemeiner Gedanke, ich weiss.

Alles was ich sah, war so unreal. Wir beide, Total verschwitzt mit abgestandenen Haaren inmitten von Leuten die gefühlt nur auf Konsum aus sind. Immer wieder fahren „dicke Autos“ auf den Parkplatz und Leute mit gespiegelten Sonnenbrillen machen ein paar Fotos in alle Himmelsrichtungen.

Natürlich haben wir es uns nicht nehmen lassen auch ein Foto zu machen im Herz-Bogen. Wenn schon dennschon. Dafür wollten wir eine Abkürzung nehmen. Eine Frau ermahnte uns: „Nicht dadurch, es sei gefährlich wegen den Hunden“. Haha, wir verstehen schon. Die Frau weiss nicht, dass wir wegen ein bisschen Hund nicht die Fassung verlieren.

Während wir ins Dorf runter düsen entferne ich den „Podcast-Stöpsel“ aus meinem Ohr. Fühlen und hören gleichzeitig war gerade etwas schwierig. Das Gefühl war unbeschreiblich und ich nahm jeden Meter sehr bewusst war.

YEAH – Da sind wir. Ab ins nächste Kaffee und sich was gönnen dachte ich mir. Domi schaute danach, wo wir am besten zelten können. Dafür prüfte er den Punkt, seiner letzten Reise. Genau beobachtete ich ihn und ahnte nichts gutes als er die Stirn runzelte. Ich fragte: „Was ist los?“ Er wartete mit der Antwort… „Der Punkt ist ein bisschen weiter weg, als ich dachte“.

Meine Miene verdüsterte sich. Ich erkundigte mich nach der Höhe. Ja gut, es nützt alles nichts. Ohne diese letzte Anstrengung keine Ballone, also nichts wie los. Die Strasse war ultra steil und gepflastert. Unzählige Touristen in Hotpants und einer Glace schauten uns zu, während wir von den Rädern abstiegen und laufen mussten.

Eine letzte Hürde gab es noch, nämlich das Wasser. Auf dem Hügel gibt es einen Camping und Domi meinte, dass es hinter dem Camping einen versteckten Wasserhahn gibt. Wir fanden diesen, leider war es auch mit Zange nicht möglich Wasser zu zapfen.

Auf dem Camping kauften wir 7 Liter Wasser, gemäss dem Camping-Chef gäbe es kein Trinkwasser. Danach bogen wir ab und fuhren noch einmal etwa 2 km auf eine Plattform mit wunderbaren Ausblick in Alle Richtungen. Domi ist halt schon Spitze in der Schlafplatz-Suche dachte ich mir.

Am Abend assen wir zu Feier des Tages leckere Outdoor-Wraps. Der Wind war so stark, dass wir uns zum essen in den Windschutz vom Zelt sassen. Eine Ebene weiter sahen wir die Leute, welche eine Sonnen-Untergangs-Horseback-riding Tour buchten. Lieber die als wir und öffneten dabei eine kleine Packung Güetzi.

In meiner Vorstellung gab es die Option, dass die Ballone nicht fliegen gar nicht. Ich dachte an alles, aber nicht das aufgrund des Windes das Spektakel möglicherweise nicht vonstattengehen kann. Der Wind intensivierte sich und das Zelt rüttelte so stark, dass Domi und Ich einander im Zelt beinahe nicht mehr verstanden haben. Wohl verstanden wir lagen etwa 20 cm auseinander.

Am nächsten Morgen um 04.30 Uhr dann die Enttäuschung. Keine Ballone weit und breit. Traurig kroch ich zurück in den Schlafsack. Die letzten Tage hatten mir alles abverlangt und dieser Dämpfer war wie eine Faust ins Gesicht. Ich bin mir bewusst, dass dies keine Probleme sind.

Wenn etwas viel Kraft braucht, dann visualisiere ich immer schon das Ziel. Ich stelle mir also vor, wie sich dann die „Belohnung“ anfüllt. Und dementsprechend ist man dann halt Enttäuscht, wenn dies nicht eintrifft.

Beim Frühstück diskutierten wir intensiv, ob wir noch eine Nacht am Platz bleiben wollten. Nach langem Abwegen haben wir beschlossen dem ganzen noch einen Versuch zu geben. Als auch der Wind am zweiten morgen zu stark war, beschlossen wir auf den Camping zu gehen.

Bisschen Duschen ist sicher kein Vergehen, nach einer Woche Outdoor. Wir betreten den Camping und schauten uns um. Sieht recht gut aus. Der Camping-Chef begrüsste uns etwas mürrisch, aber im Herzen ist er sicher ein guter. Wir bezahlten 250 Lira, etwa 15 CHF. Im Vergleich zu den Unterkünften eher teuer, aber man gönnt sich ja sonst nichts.

Wir bekamen eine „Führung“. Er sagte Swimming-Pool und ich dachte mir nur so: „wenn es Wasser drin hat ist es gut gegangen“. Meine Erwartungen wurden übertroffen, der Pool sah richtig gut aus! Er zeigte uns die Küche und ich sah eine Bratpfanne und einen Kühlschrank. Richtig Luxus dachte ich mir.

Während Domi und ich diskutierten, ob wir das Zelt den längs oder breits Weg aufstellen wollen, witzelten wir über folgendes: „Haha wer weiss, vielleicht bleiben wir ja länger hier.. Das Zelt muss dann schon richtig stehen“. Domi machte noch den „Fingerabschleck-Trick“ um zu prüfen in welche Richtung der Wind geht.

Lange Rede kurzer Sinn: Wir sind wirklich hier in Göreme gestrandet. Es gefiel uns so gut, dass wir spontan beschlossen ein paar Nächte zu bleiben. Während Domi den Veloservice machte, ging ich ins Dorf runter und kaufte Unmengen an Essen, Bier und sonstigen Annehmlichkeiten. Seither trinken wir Kaffee, schreiben Blog, baden und gehen spazieren.

Aja und übrigens: Seit wir auf dem Camping sind, fliegen jeden morgen die Ballone. Es ist einfach nur ein Traum hier zu sein. Jeden morgen stehe ich auf, mache Fotos und geniesse das atemberaubende Panorama.

Meine Batterien sind zwar noch nicht vollständig wieder voll, aber die Pause hat richtig gut getan.

Ich freue mich wieder auf das Velofahren und hoffe, dass wir rasch möglichst das Iran-Visa erhalten. Auf ins nächste Abenteuer!

Rebi Juli 2022