Endgegner Vulkangestein – Villarrica Traverse Teil 2

Willkommen zum zweiten Teil des Villarrica-Traverse Blog Beitrag. Damit du dem Text folgen kannst empfehle ich dir zuerst den ersten Teil zu lesen. Um 6.00 Uhr klingelte der Wecker auf der Skizentrum-Baustelle. Domi räumte das Zelt zusammen und ich versuchte Herr über den Essensberg zu werden und das Frühstück zuzubereiten. Von diesem Zeitpunkt an war ich die „Essensverwalterin“ und prüfte immer wieder den Zustand unserer Frischwaren. Domi meinte ich sei ja richtig großzügig am ersten Morgen, es gab sogar je eine Frucht ins Müesli. Mein wahres Motiv war weniger meine Gutmütigkeit, sondern eher die Gewichtsreduktion, aber psst. 😉

Der Himmel war unverändert grau und der matschige Boden gabs gratis dazu. Als wir losliefen diskutierten wir darüber, dass wir uns in der Nacht beide viel Gedanken gemacht hatten. Ist es überhaupt sinnvoll loszugehen, wenn das Wetter derart verrücktspielt? Der Wetterbericht hatte kein Sturm gemeldet, was wenn das gleiche nächste Nacht passieren. Was wäre, wenn, und überhaupt und sowieso. wir entschieden uns loszuwandern.

Der Rucksack war richtig schwer und am Anfang mussten wir alle 20 Meter anhalten. Nicht um uns auszuruhen, sondern um den Rucksack ein bisschen zu „verschieben“. Seit wir den Alpenpässe Weg (Fünf Wochen) getrekkt sind habe ich weniger Bauchfett, sprich der Hüftgurt drückte mir auf den Knochen. Auch Domi hatte Mühe, er trug zum Start noch mehr Gewicht als ich.

In solchen Momenten jammern wir nie, jeder hält es im Stillen aus. Als wir warmgelaufen waren besserten sich auch die Schmerzen. Und damit nicht genug weichten die dunklen Wolken und die Sonne blinzelte durch. Von der einen auf die andere Minute sahen wir den Vulkan Villarrica. WOW! Genau für solche Anblicke gehen wir trekken.

Zum Mittag tauchten wir in den Eier/Gschwellti Himmel ein. Gut prüften wir die Karte erst, als wir fertig mit Essen waren. Ansonsten hätte es uns die Erkenntnis den Appetit verdorben. 9km weit sind wir bis jetzt gekommen. Ich traute meinen Ohren nicht. Auch Domi war kritisch, meinte aber, dass es so sei. Klar haben wir auch einige hundert Höhenmeter bewältigt, aber die zurückgelegte Strecke stand in keinem Verhältnis zu unserem sonstigen Laufschnitt. Wir versuchten eine Erklärung zu finden dafür. Relativ schnell kamen wir auf den Laufuntergrund. Die meiste Zeit gingen wir über Sand oder Vulkangestein. Solches Terrain findet man in der Schweiz nicht, da können wir froh sein. Vergleichbar ist das in etwa wenn du in Mallorca in tiefem Sandstrand mit einem 18-20kg Rucksack bergauf läufst.

Die erste Etappe war auch geprägt von wenig Wasserstellen. So trugen wir beinahe den ganzen Tag noch Reserve im Wassersack. Zwar tranken wir wie Kamele, um das Gewicht zu reduzieren, aber wenn du dann alle paar Meter auf Toilette musst, gewinnst du auch nichts. Wir erreichten die erste Wasserstelle von diesem Tag und ich setzte mich auf einen Stein. Die geplante Schlafstelle war noch etwa 7km entfernt und es war nach 16.00 Uhr.

Das alte Rebi wäre aufgestanden, hätte gesagt lass uns dorthin gehen ohne Rücksicht auf Verluste. Das schon fast ein Jahr gereiste Rebi überdachte das ganze kurz und teilte mit Domi die Gedanken: „Ist es gescheit weiterzugehen? Oder sind wir gerade daran uns fix und fertig zu machen?“

In Domis Kopf schwirrten ähnliche Gedanken. Er war aber nicht dafür an diesem Fluss zu schlafen, er wollte sich die Option offen lassen den extra Loop zu machen (wie angedacht). Auf der Karte sahen wir, dass etwa 3.5km weiter noch ein anderer Fluss eingezeichnet war. Für mich stimmte es, diesen anzupeilen und dort zu schlafen.

Domi ging vor mir und ich merkte, wie auch er nicht mehr ganz leicht Füßig unterwegs war. Schritt für Schritt näherten wir uns dem Fluss. Wir beteten, dass der Fluss Wasser führt. Die Chancen standen 50/50, da nicht jeder Fluss auch wirklich einer war. Ich hörte ein lautes Halleluja von Domi, es plätscherte und wir sahen auch schon einen flachen Platz fürs Zelt.

Erleichtert streifte ich mir den Rucksack vom Rücken und ging einige Schritte. Es fühlte sich an wie auf Wolken. Als ich mich vorüber bücken wollte durchströmte mich ein grausames Stechen im Rücken. Domis Blick ließ mich vermuten, dass sein körperliches Befinden meinem gleicht. Seine Strategie war mehr: Ja nicht mehr bewegen, sonst bricht noch was. 😉

Während wir 400 Gramm Pasta und eine Salatgurke aßen diskutierten wir über das erlebte. „Was für ein Tag!“. 9.5h waren wir unterwegs und davon 8.5h gewandert. Das Ergebnis waren etwas über 20 Kilometer, was ein Schnitt von 2.5km/h ergaben. Irgendeinmal hörten wir auf das ganze noch tiefer zu beleuchten.

Später erfuhr ich von Domi, dass er an diesem Abend sogar zweifelte das wir die Traverse schaffen. Ich dachte nie ans Aufgeben, litt aber rückblickend am ersten Tag sehr.

Nach einer erholsamen Nacht, mit einem warmen Frühstück dem Sonnenaufgang zuzuschauen entschädigt einem für alle Strapazen und der gestrige Tag war vergessen.

Die Beine fühlten sich gut an und auch mental waren wir wieder bereit. Um 8.00 Uhr sattelten wir den Rucksack. Ein synchrones „Aaaahhhh“ war zu hören. Domi drückte es am Schlüsselbein und mir am Kreuz.

Ich lachte, was machen wir hier eigentlich? Wir könnten jetzt auch beim Pantera sein, die zweite Bialetti aufkochen und genüsslich am Sojamilch-Schaum löffeln. Je länger ich darüber nachdachte je mehr musste ich mir eingestehen, dass mich der Komfort auf Dauer auch nicht befriedigt, also nichts wie los.

Der Weg besserte sich und wir kamen schneller voran. Domi vor mir drückte richtig aufs Gas, er wollte zur Mittagszeit weiter sein als noch gestern.

Kurz vor Mittag machte ich vom Hüftgurt-Schoggi gebrauch. Bevor wir die M&M’s öffneten machten wir noch ein Selfie für Thomas Hodel, ein anderer Schweizer Tourenvelofahrer. Er gab uns den Tipp und es ist perfekt, weil M&M’s auch bei viel Sonne nicht schmelzen.

Zur Lunchzeit hatten wir mehr Kilometer auf dem Tacho als am Vortag. Zufrieden belegten wir das Brot mit der zweiten Salatgurke. Als ich das Kilo Karotten aus dem Sack holte hinterfragte ich das erste Mal meine Überlegungen zur Nahrungsmittel Auswahl.

Domi fragte mich ein wenig entgeistert, ob der Sack noch voll sei. Ich sagte verlegen: „Si, Si, klaro“. Ironisch sagte ich: „Das ist doch der perfekte Wander-Snack“. Ein Kilo Rüebli mit fast keinem Nährwert, noch besser sind Salatgurken, Wasser mit Geschmack“.

Die Sonne knallte vom Himmel als wollte sie uns anzünden. Die fünfte Schicht Sonnencreme sollte es richten und so wanderten wir weiter.

Mitte Nachmittag sahen wir im Wald ein kleines Häuschen. Wir näherten uns und sahen, dass es eine Conaf-Station war. Conaf ist eine Firma/Verband/Mafia, wie man es nennen will, die in Chile für die Nationalpärke verantwortlich ist. Ein Ranger mit einem großen Quer-Schnauz begrüßte uns. Wir waren verwundert jemanden Mitten in der Pampa anzutreffen.

Er fackelte nicht lange und forderte uns auf das Ticket zu zeigen. Ticket? No entiendo…Wir erklärten, dass uns im Touristenbüro gesagt wurde, dass wir kein Ticket brauchen. Meine Miene verdüsterte sich, als er uns aufforderte je 8.000 Pesos zu bezahlen (Zusammen etwa 16 CHF). Die Forderung erschien mir deplatziert, weil wir einerseits mitten im nirgendwo waren und für etwas bezahlen mussten, wofür wir im Vorfeld keine Leistung hatten. Sprich beim Eingang des Nationalparks war keine Seele und somit blieben uns auch wichtige Informationen zum Trail verwehrt.

Mittels Übersetzer versuchte ich die Situation zu klären. Auf Deutsch hätte ich dem Schnauz-Typen gesagt wo Bartli den Most holt.. aber in Spanisch. In solchen Situationen ist man ausgeliefert und am kürzeren Hebel. Es ging wie in den allermeisten Fällen nicht ums Geld. Denn wir waren vier Tage im Park, was 2 CHF pro Tag bedeutete, alles in Ordnung. Es ging um die Art und Weise wie man mit Touristen umgeht.

Wir dachten uns insgeheim beide, was will er tun. Soll er uns doch aus dem Park fliegen. Domi meinte: „Rebi, reg dich nicht auf, er als Person kann nichts dafür“. Domi hatte Recht, ich blieb anständig. Es bringt nichts eine Person für etwas verantwortlich zu machen die nur Dienst nach Vorschrift macht. Wir baten um eine Karte vom Nationalpark und siehe da, es gab sogar eine. Und diese war gar nicht Mal so schlecht. Der Ranger machte ein paar Striche und sagte: „Aqua, Aqua, Aqua“. Perfekt. Er sagte mehrmals, dass wir jetzt noch die Flasche füllen sollten, um den nächsten Berg zu bezwingen. Die nächste Wasserstelle käme erst danach im Tal unten.

Während wir steil hoch wanderten, bekamen wir plötzlich Begleitung. Die erste, zweite, dritte… plötzlich waren wir umgeben von einem Schwarm Pferdebremsen. Von einer früheren Erfahrung an einem Fluss wussten wir, dass wir es mit der Tabano zu tun haben. Das ist das traurigste Vieh, was es gibt, speziell als Wanderbegleitung. Alljährlich um die Weihnachtszeit treiben diese Nerv-Viecher ihr Unwesen.

Wie blutige Anfänger dachten wir noch, dass es nur im Moment viele Tiere hat, weil der Wind stillstand. Fehlanzeige, im Gegensatz es wurden immer wie mehr. Sie sind zwar nicht giftig, dennoch ist der Stich schmerzhaft. Und das „Gesumme“ treibt dich an den Rand des Wahnsinns.

Wir versuchten die Nerven zu behalten, eine Herausforderung. Unsere letzte Hoffnung war, dass sich in höheren Lagen der Wind verstärkt und somit die Tiere verschwinden werden.

Der Berg zu bezwingen war anstrengend umso mehr erfreuten wir uns oben über das 360 Grad Panorama. Unfassbar, egal in welche Richtung wir blickten, Vulkane, Seen, Berge. Unglaublich. Es wäre zu wünschen gewesen, hätte ich den Moment mit Domi alleine genießen können. Leider war die Begleitung immer noch da. Beinahe jedes Foto hatte eine Tabano drauf und die Videos sind allesamt verwackelt, weil ich mich immer wieder von einem Stich erholen musste.

Vertraue nie einem chilenischen Ranger! Im Glauben, dass im Tal die angepriesene Wasserstelle kam, tranken wir bis auf den Sicherheits-Schluck unsere Flaschen leer. Von dort an erwarteten wir hinter jeder Kurve die Wasserstelle. Aber sie kam nicht. Im Auto Durst zu haben und dabei in den nächsten Supermarkt zu fahren ist das eine, aber Durst bei körperlicher Anstrengung ist eine andere Liga.

Je weiter wir wanderten je mehr wurde uns bewusst, dass der Ranger uns Mist erzählt hat. Da kam kein Wasser mehr. Problematisch war es insbesondere, weil unser angedachter Schlafplatz mit einem kleinen Wasserfall noch 7km entfernt war.

Aufmerksam beobachtete ich meinen Körper und fragte auch Domi immer wieder, ob er etwas spürt. Domi war wie immer hart im Nehmen und hätte mir wohl noch Wasser angeboten, hätte er noch gehabt. Eine Strategieänderung führte dazu, dass wir zügiger gingen, um die Durst-Zeit zu verkürzen. Bei erneutem Checken der Karte vom Ranger verstanden wir immer noch nicht, weshalb kein Wasser kam. Ganze drei Striche waren eingezeichnet aber in der Realität war außer Wald nichts. Wir checkten noch einmal die Karte und verstanden die Welt nicht.

Ich erinnerte mich an eine Situation auf dem Alpenpässe Weg (das erste und letzte Mal), wo wir richtig Durst hatten. Auch dies überlebten wir. Wir wanderten weiter und dann meinte Domi es seien noch 5km. Das war eine mentale Challenge, meine Gedanken kreisten um diese 5km. Die Runde um den See in Schweden, dort wo Domis Eltern zuhause waren, umfasste 5km. Um den Durst zu vergessen, katapultierte ich mich gedanklich nach Schweden und beschloss mir vorzustellen wie ich jetzt noch einmal um den Bälsesjön-See ging.

Solche Situationen gehören genauso zum Wandern wie alle unvergesslich tollen Momente. Wenn man darin steckt, ist es immer schlimm. Im Nachhinein ist man dann stolz, wenn man etwas gemeistert hat. Wie die Wasser-Problematik ausging, erfährst du in dritten und letzten Teil dieses Blogs. Danke bist du schon den zweiten Tag mit dabei.

Und bevor ich es vergesse: Weiter unten in der Galerie sind über 40 Bilder eingefügt zur Veranschaulichung unseres Abenteuers. Letztens mussten wir ein grösseres Speicherpaket bei meinem Cousin (er ist der Bauer und Bigboss der Homepage) shoppen. Der Grund ist meine “Fotoliebe”. Gemäss Aussage von Domi “übertreibe” ich es ab und zu mit dem hochladen – Aber sind wir Mal ehrlich.. Die Landschaft ist einfach zu schön und zu abwechslungsreich, für dass ich mich auf 2-3 Bilder hätte beschränken können. Geniesse es ;-)!

Rebi, Januar 2023