Der vermeintliche Ruhetag

Für Domi & mich war der Huemul Circuit die härteste Mehrtageswanderung seit wir zusammen unterwegs sind. Falls du den Blogbeitrag dazu noch nicht gelesen hast, empfehle ich dir diese Story zuerst zu Gemüte zu führen (Teil 1-3). Nachdem wir am Freitagabend vom Circuit zurückkehrten und uns erstmal je dreiviertel Stunde unter einer Dusche brühten, bis das Wasser beinahe auf den Korridor gelaufen wäre war für uns beide eines klar: Morgen, Samstag, steht ein Ruhetag an. Liegen lang, alles essen, wovon wir die letzten vier Tage geträumt hatten, und Bier trinken. Ja sogar Ich hatte das Bedürfnis nach einem Humpen. Wieso unser Wunsch nicht in Erfüllung ging, vernimmst du in diesem Blog.

Bevor wir aber ruhen konnten, mussten wir uns ums Abendessen kümmern. Mit Schwimmhäuten gingen wir in den Dorf-Supermarkt und versuchten noch etwas Essbares abzustauben. Ein Versuch deshalb, weil es im Laden ausschaute, als würde Krieg herrschen. Wir hatten noch einige Vorräte im Fundus und beschlossen ergänzend noch eine Rösti zu machen.

Als wir den Pantera auf dem „Ioverlander-Parkplatz“ von El Chaltén abstellten, war es schon nach 20.00 Uhr. Immer wieder erstaunlich wie so etwas Simples wie ‚einkaufen‘ die Zeit frisst. Ein Blick über die Schultern in Richtung Rückbank reichte, um festzustellen, dass wir ein Riesenghetto im Auto hatten. Unsere Wanderrucksäcke und Kleider lagen kreuz und quer, bei einem Mehrtagestrek ist die Material Schlacht nicht zu unterschätzen. Der Plan war, dass ich mich ums leibliche Wohl kümmere während Domi versucht sich dem Chaos anzunehmen. Guter Plan, hätte es nicht gerade angefangen zu regnen.

Kann es nicht für einmal einfach gehen fragten wir uns beide? Der Hunger überwiegte und wir beschlossen alles auf den Vordersitz zu schmeißen und jetzt erstmal etwas zu essen. Gerade als wir den Kocher zündete hörten wir Schweizerdeutsch. Oh, was war das? Wir drehten uns und vor uns stand eine Familie, die uns neugierig musterte.

Gedanklich waren wir beide schon bei der Rösti, aber auf einen Schwatz mit netten Schweizer Leuten wollten wir auch nicht verzichten. Wir wechselten ein paar Sätze und verstanden uns auf Anhieb super. Als uns die Mutter der beiden supersüßen Kinder erzählte, dass sie über Weihnachten in Santiago de Chile bei einer befreundeten Familie waren, klingelte es bei mir. „Aber nicht bei Benny?“ „Doooooooch“ war die aufgeregte Antwort. Als aufmerksamer Blog Leser weißt du bestimmt, wer Benny ist, oder? Benny ist der Diplomat Schweiz / Chile, während des Auto Ausbaus zelteten wir bei ihm und seiner Frau Jenny im Garten. Natürlich wusste die Familie aus dem Aargau schon über uns zwei Vagabunden Bescheid. Einmal mehr kamen wir zur Erkenntnis, die Welt ist klein. Weil es schon fast eindunkelte und wir noch kochen wollten mussten wir das Gespräch nach einer Weile unterbrechen.

Mittlerweile waren wir beide hundemüde und so verzichteten wir auf die Kartoffel Rafflerei und hauten stattdessen ein paar Eier in die Pfanne und stillten den Hunger mit Unmengen Brot. Um 22.30 Uhr war dann auch bei uns Allgemeines Lichter löschen angesagt. Das letzte woran ich mich erinnern kann vor dem Schlafkomma war: „Morgen kein Wecker, oder?“. Was für eine Frage dachte sich Domi wohl.

Es war schon gegen 8.00 Uhr als ich meine Augen vorsichtig öffnete. Ich hob ein Bein nachdem anderen, um zu prüfen, wie übel sich der Muskelkater meldete. Erstaunlicherweise fühlte ich mich nicht wie von einem Traktor überfahren und so riskierte ich den Gang zur Outdoor-Toilette. Als ich vor Müdigkeit aus dem Auto torkelte sah ich vor mir die Wolkenfreien Gipfel des Cerro Torre und Fitz Roy. Du denkst jetzt sicher: „Und jetzt?“ Ja jetzt erkläre ich dir das 😉. Das keine Wolken in den Granitbergen hangen ist äußerst selten. Das Wetter ist hier sehr unbeständig.

Zurück im Auto erzählte ich Domi von der Neuigkeit. Einerseits freuten wir uns beide, war so schönes Wetter. Anderseits dachten wir beide: OH NEIN. Niemand wollte es aussprechen… Aber Domi tat es dann: „Wenn der Cerro Torre ganz zu sehen ist müssen wir los.“ Mit diesen Worten meinte er die Wanderung zur Laguna Torre.

In uns schlugen zwei Herzen. Das eine wollte den ganzen Tag, nein besser gesagt die nächste Woche im Schlafsack bleiben und sich ja nicht mehr bewegen und das andere war das Abenteuer Herz. Nachdem ich das Wetter gefühlte zwanzigmal aktualisiert habe, musste ich eingestehen, dass es genau jetzt und heute Wolken und Wind frei war. Alles schön reden nutze nichts, der morgige Tag wird wahrscheinlich kein solches Wetter mehr hergeben.

Minuten verstrichen und Domi checkte währenddessen die Wanderdaten. 10km ein Weg & somit Retour 20km. 400 Höhenmeter rauf und das gleiche wieder zurück. Mit den Worten: „Wir können nicht mehr stoppen wie das Klatschen der Robben“ war es beschlossene Sache. Wir gehen! Wir räumten das Chaos vom Vordersitz wieder in den Wohnraum vom Pantera, sodass wir fahren konnten.

Bevor wir unsere Haus-Bäckerei ansteuern konnten, war noch ein wichtiger Programmpunkt zu erledigen. Für Domi war das berühmte Foto vom Panorama, wenn man in El Chaltén einfährt ESSENTIELL. Immer wieder meinte er: „Ohne dieses Foto gehe ich hier nicht“. Heute war der Tag, es war der Moment, um das zu machen. Also fuhren wir aus dem Dorf, knipsten die Fotos und dann ging es in die Bäckerei.

Haha, jetzt weisst du auch wie das entstanden ist, als wir nämlich ins Dorf einfuhren regnete es senkrecht und nichts der spektakulärsten Berglandschaft von Patagonien war zu sehen. Zurück zur Bäckerei: Bevor wir unseren Motor zünden konnten, mussten wir tanken. Die nette Verkäuferin packte Sack um Sack, jedes Mal fragte sie „Algo mas?“, was so viel heißt wie „Was noch?“. Wir eskalierten völlig, kurzum hätten wir einen Anhänger gebraucht, um all die Backwaren zu transportieren 😉. In der Bäckerei konnten wir sogar noch ein bisschen Geld wechseln, Liquid zu sein füllte sich gut an. Wir fuhren zum Startpunkt der Wanderung und veranstalteten dort einen Brunch.

Neben uns sahen wir die Menschen Scharren die Richtung Lagune marschieren. Es war schon gegen 11 Uhr und langsam wurde ich nervös. Der Wetterbericht sagte nämlich, dass es nachdem Mittag wolkig wird und das Risiko bestand, dass der jetzt noch sichtbare Torre bei unserer Ankunft nicht mehr sichtbar sein wird. Wir verzichteten auf einen zweiten Café und beeilten uns.

Im Gegensatz zum Mehrtages-Trek war der Rucksack leicht. So leicht, dass Domi noch die Bialetti einpackte. Was für eine großartige Idee. Auch wollte Domi kein Risiko eingehen (das wir später kein Wasser finden) und nahm noch gute zwei Liter Wasser im Wassersack mit.

Und dann ging es los. Domi vor mir zündete den Motor wie ich es noch selten sah. Ob das an den zwei Schinken-Gipfeli lag?

Meine Beine brannten bei den ersten Höhenmeter und ich stellte mir vor, wie mein Motor kurz vor dem Absaufen war. Schon einige hundert Meter später war ich aber auch warm und angriffig wieselten wir neben den Tagestouris durch. Wir überholten einen nachdem anderen und die erste Steigung schafften wir zügig. Als wir auf einem Schild sahen, dass wir erst 2 km weit waren, mussten wir uns etwas zurücknehmen. Das Wichtigste ist Konstanz und so beruhigten wir uns wieder etwas.

Wir genossen den Ausblick auf die wolkenfreien Gipfeln. Nebst dem Glücksgefühl schwingte ein Unbehagen mit, als wir die ersten Wolken sahen. Wir hofften und bangten, dass diese nicht reinziehen und uns so die Sicht nehmen würden. Die letzten Kilometer zogen sich noch, umso glücklicher waren wir als wir die Lagune erreichten. Der Ausblick war spektakulär.

Einen Moment der Stille folgte, wir genossen beide den Anblick. So etwas sieht man nicht alle Tage. Die Sorgen unterwegs, dass plötzlich eine Wolke reinziehen wird, waren unbegründet. Der „Finger“ war frei. Frühere Erfahrungen zeigten uns wie unglaublich schnell das Wetter in Patagonien wechseln kann und so beschlossen wir sofort ein paar Fotos zu machen.

Als wir alles im Kasten hatten setzten wir uns etwas abseits der Masse auf einen Stein. Der nächste Programmpunkt stand an: Kaffee-Plausch.

Mit dem Gaskocher ging es ruckzuck und schon hatten wir den Duft von leckerem Kaffee in der Nase.

Dazu gab es einen „kleinen“ Lunch. Im letzten Beitrag habe ich erklärt, wie das auf Mehrtageswanderungen funktioniert: Man isst so lange wie verfügbar. Auf Tageswanderungen ist das etwas anders und so aßen wir, bis wir angenehm gesättigt waren. Spaß! Bis wir fast platzten. Wir waren sehr glücklich und zelebrierten das Ganze noch gerade mit einem zweiten Kafi.

Gerade als ich den letzten Schluck Kafi schlürfte zogen plötzlich Wolken rein. Es ging keine zwei Minuten und der Himmel war wolkenbedenkt und die Berge nicht mehr sichtbar. Wahnsinn!

Viele Leute standen auf und starteten den Rückweg. Ich witzelte noch: „Wahrscheinlich ist jetzt Schichtwechsel bei der Lagune“. Kurze Zeit später begann es zu regnen. Die riesigen Tropfen verblüften uns. Also wir hatten mit allem gerechnet, aber ganz bestimmt nicht mit Regen. Dementsprechend hatten wir auch keinen Regenschutz dabei.

Wir zogen die Softshell an, packten alles zusammen und folgten der Menschen Scharr. Für das Wetter hatten wir immer noch keine Erklärung, hofften einfach das der Schauer nur kurz ist. Uns kamen viele Menschen entgegen, unteranderem auch Leute, die wir beim Aufstieg überholten. Ich konnte die Enttäuschung in den Gesichtern sehen. Für einige ältere Leute tat es mir richtig leid und ich hoffte fest, dass die Wolkenwand bald vorüberzieht, sodass sie auch noch einen tollen Ausblick bekommen. Für andere, Möchtegern-Hiker die unterwegs siebenundzwanzig Mal stoppten für Instagram Bilder und noch dreimal Outfit wechselten tat es mir nicht leid. Ich dachte mir: Das geschieht dir Recht, hättest du mal die langen nach vornegeholt anstelle ewig auf dem Mirador zu Posen!

Und schon stoppte der Regen und es war wieder Sonnenschein. Ich war so unglaublich dankbar, hatten wir noch gerade den Zeitpunkt erwischt. Auf dem Rückweg drehte ich mir immer wieder, um festzustellen, dass der Torre nicht wieder zu sehen war.

Dankbar nicht wegen dem Bild von Domi und mir. Dankbar war ich, weil auch dieses Mal der Körper und Geist uns dorthin brachte.

Auf den letzten Kilometern weichte die Euphorie der aufkommenden Müdigkeit. Die Beine wurden schwerer und der Kopf war müde vom erlebten. Eine solche touristische Wanderung hat immer unterschiedliche Kostgänger. Die einen, welche die „Wander-Etikette“ befolgten und zum Beispiel rechts gingen, sodass man praktisch überholen kann. Und dann gibt’s noch diejenigen Leute, die meinen ihnen gehört die Welt. Normalerweise überholen wir auch diese Leute, die uns dann am liebsten noch das Bein stellen würden, weil wir keine Lust hatten, ihrem Schnecken-Schritt hinterherzudrotten.

Ich war es mir aber Leid und so reihte ich mich in eine Kolonne ein und schlappte den Leuten nach. Ich war schlichtweg zu müde mir diese Überhol-Manöver noch anzutun. Um 16.30 Uhr erreichten wir den Pantera.

Wir umarmten uns und waren happy es geschafft zu haben. Domi ist ein Ordnung und ich ein Sauberkeitstiger und so beschlossen wir mit unserer aller letzten Energie noch im Auto klar Schiff zu machen. Wir fuhren zum Visitor Center, im Wissen, das es dort einen Wasserhahnen gab. Während Domi die Rucksäcke verräumte und das Auto wieder zu einem Zuhause machte widmete ich mich der Essens und Küchenkiste.

Wir gaben beide Vollgas und nach einer Stunde kamen wir zur Erkenntnis: „Jetzt ist wieder gut“. Es ist doch wie zuhause, mal ist es aufgeräumter, mal weniger, aber wenn man ein RIESEN Ghetto hat, kann man schlecht chillen. Und genau das hatten wir am morgigen Tag vor.

Die Devise war: Das Wetter kann noch so schön sein, morgen ist Ruhetag. Genug ist Genug 😉!

Wir fuhren auf den „Ioverlander-Parking“ um bei er Schweizer Familie kurz zu fragen in welcher Wäscherei sie ihre Kleider brachten. Nach einem kurzen Schwatz verabschiedeten wir uns mit den Worten: „Wir gehen ins Dorf, es ist Bier Zeit“. Die Frau meinte: Dafür müsst ihr nicht ausrücken, wir haben Bier. Eine Deutsche Familie folgte der Bierklatsch Einladung und so fanden wir uns kurze Zeit später zu neunt im geräumigen Truck und schlürften genüsslich am Pale Ale.

Das war nicht so geplant, aber man soll ja bekanntlich Feste feiern, wie sie fallen. Domi trank mehr als ich und so war ich besorgt, als er die steile Metall Treppe runterkam. Die Party war vorbei, jetzt mussten wir aber wirklich noch ins Dorf, um etwas zu holen fürs Abendessen.

Der Supermarkt war nervig, weil keine Preise angegeben waren. Für einmal war uns dieser Umstand egal und wir kauften für eine Spaghetti ein. An diesem Tag habe sogar ich die Bolognese-Sauce mit Hackfleisch genossen.

Bild Essen

Nur ein Späßchen, war natürlich Soja, auch fünf Tage am Stück hartes wandern konnten mich nicht bekehren.

Auf dem Parkplatz war Betrieb, wir kamen uns schon fast wie „Alteingesessene“ Camper vor. „Schau, der kann jetzt endlich seine Vanlifer-Terasse brauchen“. Ich steckte meinen Kopf zur Schiebetüre raus und tatsächlich stand neben uns einer auf dem Dach und schaute Richtung Torre. „Haha, was für ein Spacko“ murmelte ich. Der wäre auch besser heute aus seinem Van raus und zur Lagune gewandert als jetzt auf dem Bus rumzustampfen ohne Sicht.

Zum Dessert biss ich in ein Cookie, dieses trockene Zeug ist nie besser als nach einem Wandertag.

Ein aufregender Tag neigte sich dem Ende zu. Den Kopf streckte ich senkrecht in die Höhe und putzte dabei meine Zähne. Der Sternenhimmel war unglaublich, ich konnte meine Augen nicht davon wenden. Und wenn wir nicht noch immer schlafen, sind wir bald wieder fit und motiviert weitere Abenteuer zu erleben.

Und auf alle Fragen: Der nächste Tag war tatsächlich ein RUHETAG. Zuerst gab es einen kleinen Brunch.

Dann organisierten wir unser Chaos und brachten die Wäsche in die Lavanderia. Die dort genannten Preise waren sehr stolz, so entschieden wir uns für eine Kompromisslösung. Ein Teil liessen wir waschen und ein Teil machten wir selbst. Vor allem Socken, Unterhosen – die bei einer normalen Wäsche so oder so nicht sauber geworden wären, bekamen eine brühende Badewanne.

Als eine der letzten Handlungen gingen wir schnurstracks in das Haus-Kafi (das weisst du, wenn sich das Wlan automatisch verbindet) und bestellten uns je ein Stück Kuchen. Haben wir uns jetzt verdient, nicht wahr? 😉

Wenn ich an die Tage in El Chaltén denke, bin ich automatisch glücklich. Falls du jemals die Chance hast nach Patagonien zu reisen: Tu es.

Rebi, Juli 2023