Der erste Chai – Merhaba Türkiye

Es ist schon spät, als wir von der Hauptstrasse abbogen und unsere Räder durch einen durchnässten Weg auf einen kleinen Hügel schoben und Ausschau hielten nach einem Schlafplatz. Den ganzen Tag schon begegneten wir Fahrzeugen mit der Aufschrift „Border Control“ oder „Gendarmerie“. Dies wahrscheinlich, weil die türkische Grenze nur noch 25 km entfernt war. Wir wollten nicht entdeckt werden, deshalb gingen wir noch ein paar Schritte weiter und stellten schliesslich unser Zelt auf einer Wiese.

Ausser ein paar Kühen, die uns beim Pasta kochen zusahen, wurden wir nicht entdeckt. Am nächsten Morgen fuhren wir um 8.30 Uhr los weiter Richtung türkische Grenze. Aufgrund unserer bisherigen Route an der Küste von Bulgarien haben wir uns für diese Grenze, eher im Hinterland, entschieden. Um in die Türkei zu kommen, mussten wir einen Pass fahren und dabei über 600 Höhenmeter (also quasi einmal den Brünig) bezwingen. Oben angekommen wechselten wir die restlichen LEW (bulgarisches Geld) in türkische Lira. Beim Exchange-Häuschen gab es eine Schranke, die von einer Frau bewacht wurde. Sie fragte uns: Türkei? Ich dachte mir nur, Frölein bitte was? Niemand würde diesen Sche*** Pass rauffahren, wenn er nicht die Grenze passieren wollte. Wir nickten freundlich und fuhren weiter.

Es folgte ein Kontroll-Posten, wo wir beide brav unsere Pässe zeigten. Der geschniegelte Zöllner, der sich seiner Position resp. Macht offensichtlich bewusst war, fragte uns Dinge wie: Woher wir kommen (Höhö von Australien oder was denkst du denn?) Nein von Bulgarien! Und ob wir verheiratet sind. Wir waren verwirrt, was ist die nächste Frage? Wie viele kg Haferflocken wir schon gegessen haben auf unserer Reise? Nach der Fragerei verlangte er ein anderes Ausweis-Dokument von mir. Wahrscheinlich erkannte er mein verschwitztes Gesicht mit den abstehenden Haaren nicht. Aber alles kein Problem, immer freundlich machten wir, was verlangt wurde und durften dann sogar weiter. Etwa 200 m weiter merkten wir, dass dies ja erst die Ausreise war und die türkische Kontrolle noch folgt. Domi war beruhigt, er hat sich so auf den neuen Stempel im Pass gefreut und war irritiert, weshalb keiner drin war.

Gut, noch einmal. Der erste Posten war eine Waschanlage. Gott sei Dank durften wir aussen durch. Es hätte zwar keine Rolle gespielt da es in Strömen regnete, seit wir auf dem Pass ankamen. Es folgte eine recht normale Passkontrolle, also ja überall wimmelte es von Menschen mit Pässen und irgendwie hatte es trotzdem eine Art System. Und bei der Dritten Station wurden wir gebeten je eine Tasche vorne links zu öffnen. Dies war auch mehr Alibi, das Kokain hätten wir wohl nicht oben draufgelegt.

Wir dachten, dass wir es geschafft hätten, eine Schranke war da aber noch. Wir zeigten noch einmal unsere Pässe und durften dann den Hügel runterfahren.

Ein Gefühl von Glück und stolz durchflutete meinen Körper. Mit dem Velo in die Türkei, ein tolles Feeling. Wenn es nicht unverhältnismäßig stark geregnet hätte, so wäre es perfekt gewesen. Wir hatten beide Hunger und es war weit und breit kein Dach, wo wir uns für ein paar Minuten hätten unterstellen können. So blieb uns nichts anderes übrig als noch 5 km bis nach Dereköy zu fahren. Das Dorf war sehr klein, aber ein Dach wird es schon irgendwo geben dachten wir uns.

Am Dorfrand fuhr ich voraus, um einen geeigneten Platz zu finden. Der Regen wurde immer heftiger und ich sah alles nur noch sehr verschwommen durch meine Brillengläser. Gleichzeitig höre ich einen Ton, welcher für mich neu war. Es ist der Gebetsruf welcher aus den Lautsprecher der Moschee ertönt. Ich stoppte abrupt, da ich im Dorfkern angelangt bin. Rechts von mir die Moschee, mit dem für mich unbekannten und auch ehrlichgesagt etwas unheimlichen „Sound“. Vor mir einige Gemüsestände und auf der linken Seite zwei Teehäuser wo nur Herren sassen und mich alle anstarrten. Ich in meiner auffallenden Regenjacke und dem roten Fahrrad, tropfend, gab wohl ein sehr komisches Bild ab.

Als ich realisierte, wie surreal die Situation ist, drehte ich mich mal um und sah das Domi weit hinter mir stehen blieb. Er winkte und ich dachte mir: OK, umdrehen und weg hier. Er wurde von ein paar Handwerker in einen Unterstand gewunken. Die Arbeiter produzierten Picnick-Tische.

Ich war selten so dankbar wie dann dem Regen entfliehen zu können. Wir standen etwas verloren in der Ecke und keine 2 min später brachte uns jemand einen Çay. Tee trinken ist ein wichtiger Bestandteil der türkischen Kultur und ich fühlte mich gerade etwas „aufgenommen“ im neuen Land. Dass wir in den nächsten Tagen noch unzählige Çay’s trinken werden, wusste ich da noch nicht – so genoss ich jeden Schluck. Wir assen unter dem Unterstand unser üppiges Mittagessen, während die Arbeiter noch die Tische lackierten.

Es war offensichtlich, dass wir Unmengen an Essen vertilgten. Gerade als wir fertig waren und nur noch ein Sack Müll an die Fresserei erinnerte fuhr ein Auto vor den Eingang. Jemand brachte ein paar Töpfe mit Essen. Einer der Arbeiter brachte uns zweimal Suppe mit Brot, ein Nein wurde nicht akzeptiert. Ja gut, da müssen wir wohl durch. Als dann noch der Hauptgang folgte war es schon ein Kampf. Wir lernen: Sei immer bereit für ein zweites Mittagessen – Man weiss nie was passiert in der Türkei.

Der Regen beruhigte sich und wir entschieden uns noch in die nächstgrössere Stadt Kikarelli zu fahren. Nachdem ich die letzten Tage nicht viele Menschen sah, erschrak ich etwas. Die Stadt lebte und wir waren mitten im Verkehrs-Chaos.

Wir brauchten Internet und suchten nach einem Kaffee für Wifi. Wir gingen zu einem Laden, bestellten zwei Cay und fragten fürs Wifi-Passwort. Der Angestellte hatte kein Cay im Sortiment, kurzerhand lief er zwei Türen weiter und bot einen Kollegen uns unseren Tee-Wunsch zu erfüllen. Natürlich kostenlos. Wifi hatte er auch nicht, so gab er uns einen Hotspot von seinem persönlichen Handy. Später kam sein Chef und dieser servierte uns noch Baklava und entschuldigte sich für die schlechten Englischkenntnisse seines Angestellten.

Obwohl wir nichts Kostenpflichtiges konsumierten, waren sie alle sehr freundlich zu uns. Später kam noch ein Kollege der beiden und erklärte uns, dass er Trompetenspieler sei. Als ich ihn fragte, ob er wisse, wo man ausserhalb der Stadt zelten könne, bat er spontan den Garten seinen Grosseltern an. Die Leute sind sehr offen und hilfsbereit und haben Freude Tourenvelofahrer zu sehen.

Wir entschieden die Stadt noch zu verlassen und gingen Wasser kaufen, da das Leitungswasser keine Option mehr ist. Während Domi drinnen Wasser besorgte, schenkte mir ein Mann Kirschen.

Ein paar Kilometer nach der Stadt fanden wir in einem Wald einen netten Platz. Später kam ein Hirt vorbei mit etwa Hundert Schafen und Ziegen und noch später kam ein zweiter Hirt mit Kühen. Beide störten sich nicht ab uns und so schliefen wir friedlich ein. Ich spüre es, die Türkei zu bereisen mit dem Velo wird ein riesiges Abenteuer – Ich freue mich auf die Entdeckungsreise.

Rebi Juni 2022