Brandlöcher im Schlafsack
Domi kaufte sich in Bozen einen neuen Schlafsack und spendete den alten an die Vinzenzgemeinschaft Kleiderkammer in Bozen. Wie es dazu kam, erfahrt ihr im Blogartikel.
Seit unserem Start am 20. April sind vier Tage vergangen. Wir kamen im Bergdorf Klosters an und mussten uns entscheiden, ob wir den Flüelapass auf 2‘383 m.ü.m mit dem Fahrrad bezwingen wollen oder ob wir den Zug bis Zernez nehmen. Die Entscheidung fiel uns nicht leicht. Einerseits waren wir motiviert den Weg aus der Schweiz mit eigener Kraft zu schaffen und anderseits wussten wir beide, dass es unvernünftig ist bei Minustemperaturen und Schneefall auf dieser Höhe zu radeln.
Die Entscheidung fiel auf den Zug und Zernez empfing uns mit schlechtem Wetter. Die Beine und der Kopf waren müde, es brauchte einen Ruhetag. Es war zwar frisch, aber fürs Zelten war das Wetter ausreichend. Vom Zelt-Eingang sahen wir auf den verschneiten Flüelapass – wir bereuten unsere Entscheidung nicht.
Nach dem Ruhetag stand der Ofenpass auf dem Programm. Das Wetter meldete solid, am Nachmittag evt. bisschen regen, aber bis dann werden wir längst im Tal sein – dachten wir. Als wir am Morgen aufwachten war es kalt und die Wolken hingen tief. Domi blieb noch einen Moment im Schlafsack und räumte dann die „Inneneinrichtung“ zusammen, währenddessen schnitt ich die Früchte fürs Müesli. Nach dem Frühstück mussten wir uns im Warteraum vom Bahnhof etwas aufwärmen, durchgefroren losfahren wollten wir nicht. Wir waren nicht „angriffig“ – aber um 9.30 Uhr schafften wir es doch noch loszuradeln. Sofort ging es Bergauf, wir hatten kalt und schwitzen gleichzeitig – eine mühsame Kombi.
Mit ca. 8km/h gewannen wir langsam an Höhe. Nach etwa dreissig Minuten regnete es ganz leicht. Wir dachten beide, alles ok – nichts Ungewöhnliches in den Bergen. Ab und zu hielten wir an und tranken ein wenig Wasser und machten ein paar Fotos.
Die Temperaturen wurden immer kälter. Domi fuhr einige hundert Meter vor mir. Seine Übersetzung beim Velo ist grösser – sprich mein Ferrari hat kleinere Gänge. Aber der eigentliche Grund für den Vorsprung ist die Tatsache, dass er definitiv mehr „Pönsch“ in den Oberschenkeln hat. 😉
Das Unheil nahm seinen Lauf.. Es begann zu schneien. Normalerweise würde jetzt jemand von uns den Vorschlag bringen die Regenklamotten anzuziehen. Wir gingen beide davon aus, dass es bis zum Pass nicht mehr weit ist und wir uns dann im Restaurant aufwärmen können. Sprich es hätte sich nicht rentiert auf Regen umzustellen und alles aus den Taschen zu holen. Gleichzeitig wurde die Softshell-Jacke immer nasser, und nach kurzer Zeit war der Peak erreicht. Es war zu spät für eine Regenjacke, wir waren schon bis auf die Unterhosen durchnässt.
Der Schneefall intensivierte sich und die Situation kam einem Schneesturm gleich. Man sah keine hundert Meter mehr. Einige Autos fuhren an uns vorbei, niemand hielt an. Ich sah aus der Ferne, dass Domi vom Rad abgestiegen ist und es neben sich herschob. Ich tat es ihm gleich, weil ich meine Füsse nicht mehr spürte. Es war nicht weniger anstrengend, das Rad wiegt mehr als 50kg. Meine Hände waren so kalt, dass ich weinen musste vor Schmerz.
Klar wusste ich, dass weinen gar nichts bringt. Aber wenn man schon weit aus der Komfort-Zone ist und ein Gefühl von Verzweiflung den Körper durchströmt, ist weinen ein gutes Ventil.
Wir wussten beide nicht wie weit es noch ist. Die Sicht war schlecht und wenn wir die Handys hervorgeholt hätten, wären die womöglich kaputt gegangen durch die Nässe. Auch war Anhalten keine Option, wegen dem weiteren auskühlen.
Nach einer Ewigkeit erreichten wir den Pass. Wir machten ein kurzes Foto und ich sah uns schon sitzend vor einem Ofen mit einer heissen Schokolade in den Händen. Als ich das Schild sah „heute geschlossen“ dachte ich zuerst das sei ein Witz. Es muss doch einen Schutz geben! Aber nein, nichts war offen. Keine Tür zu einem Schuppen – gar nichts. Ich brach erneut in Tränen aus und bekam etwas Panik.
Domi reagierte gescheit und schnell. Wir stellten unsere Räder unter einen Unterstand und er sagte zu mir: „zieh alles aus“. Zuerst dachte ich NO WAY. Es ist unter Null Grad, ich erfriere. Ich wusste das er Recht hat und befreite mich von den durchnässten Klamotten. Dies war keine einfache Aufgabe, weil alles am Körper klebte. Währenddessen suchte Domi trockene Kleider in meinen Taschen. Er wusste genau wo was ist und schnell hatte ich alles angezogen was ich dabei habe – Shirt, Langarm, Überziehjacke, Daunen-Gilet, Daunen-Jacke, Stirnband.. Einfach alles.
Ich versuchte ruhig zu atmen, merkte aber wie mehr Panik in mir hochkam. Ich hatte nicht warm trotz fünf Schichten Kleider. Domi rollte blitzschnell seinen Schlafsack aus und steckte mich rein. Danach baute er innert Sekunden den Kocher auf und zündete ihn an – Ich sass nicht weit davon am Boden auf der Eierkarton-Matte. Er füllte die Teekanne und ich konnte mich etwas beruhigen. Er kniete neben mir, als es passierte. Der Schlafsack fing Feuer – Ein Schockmoment. Wir konnten das Feuer zwar löschen, aber das Resultat waren drei grössere Brandlöcher und überall Daunen. Zum Glück erlitt niemand von uns Verbrennungen.
Der Beruhigungstee und die Tatsache, dass ich die Hände langsam wieder spürte, entspannte mich. Ich wusste aber, Domi muss jetzt für sich schauen. Sein Körper checkte schneller was Sache ist und bis auf die Füsse hatte er schnell wieder einigermassen warm.
Nächste Challenge: Jetzt runter ins Tal, egal wie aber schnell. Wir zogen also alles an und fuhren schnell los. Unten im Val Müstair mussten wir erstmal etwas essen, es war schon gegen 14.00 Uhr. Danach nahmen wir das erst beste Kaffee und wärmten uns etwas auf. Gegen Abend passierten wir dann noch die italienische Grenze und fanden einen Schlafplatz zwischen Apfelbäumen und Industrie-Gelände. Was für ein Tag!
Zum Glück kam dann besseres Wetter und wir genossen das mediterrane Klima im Südtirol. Wenn die Südtiroler etwas richtig gut können (nebst Kaffee 😊), dann ist es Fahrrad-Wege bauen. Alles war super ausgeschildert und für Räder gab es Tunneln. Ruckzuck waren wir in Bozen.
Dort im Zentrum nutzten wir die Chance und besuchten ein Sportgeschäft. Domi wollte sich einen neuen Schlafsack kaufen. Die Löcher waren zwar mit Tesa repariert, aber der Daunen Verlust war spürbar. Weil das Geschäft den alten nicht zurücknehmen wollte, suchten wir nach einer Stelle, wo Spenden entgegennimmt.
Es dauerte sicher eine Stunde, bis wir fündig wurden – Aber ja, an Zeit mangelt es uns nicht. Es hatte sich gelohnt, nun hat ein Bedürftiger hoffentlich etwas wärmer.
Das Erlebnis war uns eine Lehre. Ich bin Domi dankbar hat er rasch reagiert und so ein grösseres Unglück verhindert.
Liebe Eltern – mach euch keine Sorgen, wir haben alles unter Kontrolle. 😊
Rebi Mai 2022