Aufbruch in der Schweiz – Eine Reflektion Teil 2

Im letzten Beitrag habe ich über ein paar Fragen geschrieben, die im Vorfeld im Raum standen. Nun erzähle ich noch etwas über die Vorbereitung und auch das Gefühlschaos vor der Abreise.

Bevor wir losfuhren, veranstalteten wir ein Abschieds-Festli bei meinem Onkel in der Werkstatt. Danke Bänz und Familie, durften wir unsere Liebsten dort begrüssen. Die Location war für uns perfekt, viel authentischer, als wenn wir irgendwo einen schicken Raum gemietet hätten.

Mehr als 100 Leute kamen vorbei, um uns persönlich Tschüss zu sagen. WOW! All diese Menschen nahmen sich die Zeit, dass freute mich unglaublich. Das niemand verhungert haben wir 100 Portionen Chili selbstgekocht, neun prall gefüllte Töpfe. Danke Diana und Regi, dass ihr uns beim Kartoffelrüsten und Zwiebeln schneiden tatkräftig unterstützten. Als wir am Morgen mit den Töpfen nach Beitenwil, wo das Fest stattfand, fuhren sagte ich zu Domi: „Es fühlt sich irgendwie an als würden wir heute heiraten“. Er schaute mich verdutzt an. Ich merkte an: „Der einzige Unterschied ist, dass ich an der Hochzeit lieber nicht das Essen im Kofferraum zur Trauung fahren möchte“ 😉.

Ich bin immer noch geflasht von diesem Anlass. Einerseits war es sehr schön zu sehen, wie sich alle freuten einander wieder einmal zu sehen. Anderseits war es traurig, verabschieden ist nie schön.

An diesem Tag drückte ich meine Freunde, musste viel weinen und dabei realisierte ich kaum was gerade passiert. Erst als ich meinem Gotte-Bueb Simon ein Kuss auf die Wange gab, wurde mir bewusst das er wachsen wird und ich nicht für ihn da sein kann. Er kann jetzt schon laufen, wenn wir zurück sind wird er wohl sprechen können. Ich hoffe, dass er nicht schon in die Oberstufe geht, Spass bei Seite.

Auch der Abschied von meinen Geschwistern und von Mueti und Päpu war sehr emotional, mein grösster Wunsch ist das sie alle gesund bleiben.

Ich weiss noch, am Tag der Abreise war ich sehr müde, nicht körperlich, sondern geistig. Die Wochen resp. Monate vor der Abreise waren herausfordernd. Jetzt mit etwas Distanz versuche ich zu reflektieren. Für mich persönlich tanzte ich viel zu lange auf zu vielen Hochzeiten und versuchte dabei stets überall noch den richtigen Tanzschritt zu machen.

Auf der Arbeit gab ich mein Bestes. Es war mir sehr wichtig, die Projekte so gut wie möglich zu übergeben. Dies war anspruchsvoll, die Stelle hatte noch keinen Nachfolger und ich versuchte mir immer vorzustellen, wie es der nächsten Person wohl am besten von der Hand geht. Mein Einsatz wurde mit einem guten Zeugnis belohnt, ich bin wahnsinnig dankbar für die berufliche Erfahrung und das Verständnis meines Vorgesetzten.

Daneben organisierte ich fleissig die Ausrüstung. Gottsei Dank unterstützte mich Domi wo er nur konnte. Trotzdem „musste“ ich mich selbst mit der Materie auseinandersetzten. Recherchieren, bestellen, probieren, zurücksenden usw. war ein Zeit und Energie-Fresser. Ich wusste aber, wenn ich mich nicht vertieft damit beschäftige, so werde ich es auf der Reise bereuen.

Gleichzeitig versuchte ich meiner Familie, allen Freunden und Bekannten gerecht zu werden. Es war mir sehr wichtig mit einigen Personen noch etwas zu unternehmen und mich auszutauschen. Nebst all meinen Themen wollte ich auch hören was bei den anderen läuft. Es drehte sich viel um „unser Projekt“ und nach einer gewissen Zeit war ich gar nicht mehr so motiviert immer nur von uns zu erzählen, sondern wollte vielmehr auch andere Dinge besprechen.

Die Sorge, nicht ausreichend fit zu sein auf dem Velo, trieb mich dazu mehr Sport zu machen als ich sonst schon für gewöhnlich betreibe. So versuchte ich wie schon fast eine verrückte die Zeit zu optimieren und nutzte das breite Fitness-Angebot via-a-vis von meiner Arbeitsstelle. Fast täglich schwitzte ich beim Spinning, trainierte den Rumpf im Bodypump, schwamm im Hallenbad, versuchte mich mit Yoga zu beruhigen oder joggte mit den Kollegen entlang des Bielersees.

Nicht zu vergessen, dass ich den tollsten Freund der Welt habe und dieser auch ein Stück „Rebi“ zugute hatte. Domi war selbst sehr engagiert und ich versuchte mit der Erledigung vom Haushalt, kochen oder einzukaufen ihn zu entlasten. Auch wollten wir noch gemeinsame Zeit verbringen und uns über das bevorstehende Abenteuer unterhalten. In dieser Zeit wanderten seine Eltern nach Schweden aus und auch durch dieses Ereignis wollte ich ihm noch stärker den Rücken freihalten. So richtig gelang es mir aber glaube ich nicht.

Ich merkte selbst, dass ich zu viel um die Ohren hatte. Mein Körper gab mir auch klare Signale. Zuerst mit einer Blasenentzündung und anschliessender Nierenbeckenentzündung, wo mich Domi Notfallmässig ins Spital fuhr. Danach kam noch Corona zu Besuch und wir verbrachten Silvester in Isolation. Weiter entfernte ich Ende Januar noch eine Schraube im Knie, ein Überbleibsel einer Kreuzband-Operation vor Jahren. Man kann sagen ich verfolgte ziemlich akribisch den Plan „bereit“ zu sein für die Reise und wollte alle etwaigen Probleme, welche auftauchen könnten, aus dem Weg räumen. Kommentar am Rande: Es gibt auch ausserhalb der Schweiz Ärzte wie ich bemerkte 😉.

Auch in dieser Zeit erhielt ich die Diagnose Hashimoto-Thyreoditis. Dies ist eine Autoimmunerkrankung, wo die Schilddrüse chronisch entzündet ist. Plötzlich war ich gar nicht mehr sicher, ob es sich richtig anfühlt jetzt loszufahren. Auch die Tatsache, dass mich der Endokrinologie-Chef persönlich betreute beruhigte mich nicht zu 100%. Je mehr ich googlte, je unsicherer wurde ich. Alles was ich hatte war eine Packung Euthyrox (Schilddrüsen Hormon) und die Info vom Arzt, dass alles wieder normal ist sobald ich die Tabletten regelmässig einnehmen werde.

Die Krankheits-Symptome lassen sich mit dem Veloalltag nur schwer vereinbaren dachte ich mir. Ständige Müdigkeit, Schwäche und Abgeschlagenheit sowie Konzentration und Gedächtnisschwäche, Kälteempfindlichkeit usw. sind alles Dinge, die eher unpraktisch sind, wenn man vorhat um die halbe Kugel zu pedalen.

Ich las das ich sofort auf Gluten verzichten sollte, kein Kaffee mehr trinken (das habe ich als Kaffee-Süchtige Person gekonnt überlesen und ignoriert), Hülsenfrüchte besser nicht und Histamin auch nicht. Aja und Laktose ist da auch noch. Auch Ruhe ist wichtig und überhaupt einfach sollte ich alles ändern. Ich grübelte.. Wir wollen Richtung Zentralasien, schon als Vegi spannend. Aber gibt es Glutenfreie Pide? Wohl kaum.

Der Start rückte immer wie näher und nebst den körperlichen Symptomen merkte ich psychische Anzeichen. Werde ich etwa depressiv?

Abend für Abend sass ich in unserem Mini-Büro und suchte nach Lösungen. Ich telefonierte sämtliche „Depressions-Gurus“ ab. Niemand wollte mich von unterwegs aus coachen. Ein bisschen verzweifelt war ich schon. Ich konnte nur schwer verstehen, weshalb es schwierig ist Hilfe zu finden.

Meine Mutter meinte, ich solle doch noch Bioresonanz ausprobieren. Auf den letzten Zacken erhielt ich einen Termin und fuhr noch zweimal nach Steffisburg. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde und liess mich einfach darauf ein. Was hätte ich auch tun sollen, das war gefühlt meine letzte Hoffnung. Mit Globuli, Spagyrik Spray, Bachblütentropfen und einem Räucherstab sowie mit viel positiver Energie im Gepäck entschied ich mich den Problemen zu stellen und es zu versuchen.

Am vorletzten Tag vor der Abreise stand der letzte Blut-Check in der Insel an. Das Resultat kam rasch, alles sei OK. Es kann losgehen.

In dieser herausfordernden Phase unterstützte mich Domi wie es wohl kein zweiter machen würde. Immer wieder ermutigte er mich und erklärte mir, dass wir niemanden Rechenschaft ablegen müssen für unser Tun. Er hatte Recht. Bewusst haben wir keine Sponsoren, wenn es nicht geht, müssen wir nichts erzwingen. Wir entscheiden jeden Tag selbst ob wir 10km oder 100km fahren.

Die Entscheidung zu gehen war also nicht ein Ausweg, denn wir hätten in unserer Wohnung bleiben können. Auch hätten wir mit unseren Chefs sprechen können, es hätte sicher Lösungen gegeben. Die Optionen wären da gewesen, aber wir haben uns bewusst für das Gehen entschieden.

Im Wissen das ich nicht darum herum kommen werde mich intensiv mit mir selbst zu beschäftigen, war ich zu 100% überzeugt das es richtig ist aufzubrechen und einfach zu schauen was diese Reise mit mir und uns machen wird.

Ein unvergessliches Abenteuer kann man nur erleben, wenn man Mut hat etwas zu riskieren. So verbrachten wir die letzten Nächte in der leeren Wohnung von Domi’s Eltern und gewöhnten uns ohne Stühle und Tisch den Luxus langsam ab. Danke an dieser Stelle für das Dach über dem Kopf und die geniale Dusche.

Am Mittwochmorgen ging’s dann los. Nach dem Interview mit Radio BEO (wir wurden eine Woche begleitet) assen wir ein letztes Mal bei mir zuhause am Küchentisch Frühstück und fuhren dann los in Richtung Wichtrach. Auf dem Weg stoppten wir in Münsingen, dort fragte mich eine Frau „Wo wollt ihr hin?“. Ich war immer noch am weinen (ja Abschiede sind nicht mein Ding) und ich antwortete „Nach China“. Sie dachte ich spinne, wünschte mir viel Glück und lief weiter.

In Wichtrach sagten wir noch meinem Grosi Tschüss und dann gings los Richtung Brünig und dann hinaus in die weite Welt.

Wie ich die Welt sehe nach fast drei Monaten Veloreise, erfährt ihr in einem anderen Beitrag.

Rebi Juli 2022