Auf allen vieren – Huemul Circuit Teil 2

Hast du den ersten Teil vom Blogbeitrag gelesen? Das wäre noch so wichtig, sonst kannst du meinen Erzählungen schwer folgen. Aber ich überlasse es dir, vielleicht bist du auch Hellseher und weisst was im ersten Teil 1 passiert ist. 😉 Die ersten Kilometer waren unspektakulär. Stetig aufwärts auf gutem Terrain. Im Blogbeitrag „Villarrica-Traverse“ konntest du lesen, wie wir auf Sand gingen & so sind wir bei festem Untergrund schon glücklich. Nach anderthalb Stunden war es schon Zeit für das Mittagessen. Das Patagonische Wetter wusste, wie so oft nicht was es wollte und weil es etwas tropfte, entschieden wir uns am Waldrand, geschützt, kurz eine Lunch Pause zu machen. Vom Vortag hatten wir noch einen Resten Tortellini übrig und dazu gab es Brot, welches wir mit Peanut Butter und Banane belegten. Dieses Menü ist die Folge vom Käsemangel in Südamerika.

In der Panaderia (Bäckerei) kauften wir das Haferflockenbrot in der Hoffnung etwas Gutes gemacht zu haben. Diese hätte uns für zwei Mittagessen dienen sollen, beim Abschneiden merkten wir: Wir wurden von dem schönen Aussehen verleitet. Optisch war es okay, geschmacklich ähnelte es einem gefärbten Weißbrot, das eine Konsistenz hatte wie ein trockenes Cake. Hast du den Geschmack auch gerade im Mund? Item, der Wind wurde stärker und uns wurde kalt. Ein Zeichen, um weiterzugehen, wir vergruben die Bananen-Schale und gingen weiter. Normalerweise tun wir das nicht, wegen Gewichtseinsparung machten wir es dieses Mal mit den Organischen Sachen.

Am Nachmittag wurde der Wind immer stärker, deshalb konnten wir auch nicht mehr viele Bilder machen. Uns kam eine Gruppe Männer entgegen, einer davon sprach uns an. Sie erzählten, dass sie umkehrten, weil der Wind zu stark sei. Das tönt jetzt nicht so gut dachte ich mir. Dann sagten sie noch, dass es beim ersten Campingplatz viele Mäuse hätten und: „Don’t feed them“. Super Info, genau das wollten wir wissen. Ironie off. Etwas später trafen wir wiederum Leute. Was diese uns wohl sagen wollten. Löwen, Drachen? Zum Glück nicht, sie meinten nur dass auch sie kehren mussten und dass die Mäuse ein Problem waren. Beim einen wurde der Camel Back-Schlauch angeknabbert und bei den anderen sind sie ins Innenzelt eingedrungen und über den Schlafsack gesprungen. Adieu Merci, dass wollten wir definitiv nicht wissen.

Je näher wir dem Camping kamen, desto schlimmer wurde das Wetter. Darüber waren wir sehr erstaunt, da der Wetterbericht gar nichts in diese Richtung gemeldet hatte. Die Sturmböen machten uns langsamer und raubte mehr Kraft, als erwartet und so waren wir heilfroh als wir einen etwas windgeschützten Platz fanden auf dem Camping.

Einfach noch fürs Protokoll: Camping heißt „eventuell ebener Platz“ für ein Zelt und sonst nichts, also keine Infrastruktur. Bevor wir kochen konnten, brauchten wir noch Wasser. Die Wasserstelle war unüblicherweise sehr weit entfernt, Domi nahm sich dem netterweise an. Er kehrte erst nach einer knappen halben Stunde mit dem gefüllten Wassersack zurück. Ich war so dankbar, dass er das erledigte, mir war kalt und so konnte ich mich derweil schon im Schlafsack aufwärmen.

Zur Vorspeise gabs ein Tassen-Süppli. Einmal Tomate für Domi und einmal Spinat für mich. Ein wahrer Gaumenschmaus, ich sag’s euch!

Von der Wasserhol-Wanderung hatte Domi News, die er von einem anderen Wasserholer erfuhr. Einerseits erzählte er, dass wenn man beim Camping weiterging, Richtung Pass (dort, wo wir am morgigen Tag hinwollten) der Wind so stark war, dass man kaum stehen konnte. Erste News die ich lieber nicht gehört hätte. Und dann traf er auch noch Leute, die ihm erzählten, dass es an diesem Tag nur zwei Leute über den Pass schafften und diese gingen auf allen Vieren rüber. WHAT? „Was auf allen Vieren“ fragte ich? Ich meinte ich hätte mich verhört. Der Pass heißt ja schon „Paso de Viento“, also Pass des Windes. Aber auf allen Vieren?

Domi sagte zu den Leuten, dass wir es zumindest probieren werden. Zu mir sagte er, dass wir es schaffen und wenn wir dafür auf allen vieren gehen müssen, dann ist das so. Wir stärkten uns mit einer Portion Spaghetti und einem Kaffee zum Dessert.

Vor dem Schlafengehen verstauten wir alles Essen in die Zelthülle und hängten es in den Baum. Auf keinen Fall wollten wir Mäuse im Zelt und so hofften wir, dass dies ausreichen würde, um sie nicht anzulocken.

In der Nacht windete und stürmte es so stark, dass sogar ich (mit komatösem Schlaf) mehrmals aufwachte. Immer wieder hatte ich Bilder vor meinem Auge wie Domi und Ich auf allen Vieren über den Pass kriechen würden. Ich war heilfroh, als der Wecker um 6.15 Uhr klingelte und es Frühstückszeit war. Während wir Früchte, Haferflocken, Cornflakes und Milch in uns reinlöffelten erzählte ich Domi von meinen schon fast Albträumen. Auch bei ihm ging die letzte Nacht nicht spurlos vorbei und so meinte er nur: „Wir probieren“.

Einmal mehr waren wir froh hatten wir unsere „Villa“ dabei. Ein anderes Zelt hätte es wohl verrissen und so genossen wir noch die letzten Minuten am trockenen bevor auch wir rausmussten. Domi nahm das Innenzelt raus, um zu verhindern, dass alles nass ist.

Wir hatten beide die Regenhosen an, welche dem Windschutz dienten und natürlich warme Kleider, um die durch den Wind kühlen Temperaturen auszuhalten. Als wir uns Mental bereit fühlten gingen wir los und merkten schon als wir um die Ecke gingen (dort, wo Domi am Vortag Wasser holte), dass der Wind stark war. Ich erwähne jetzt hier das letzte Mal, dass der Wetterbericht versagte resp. es einfach eine andere Nummer ist in Patagonien in den Bergen. Auf jeden Fall regnete und windete es.

Nach etwa zwei Kilometer sahen wir eine silbrige Schlafmatte auf dem Weg. Wir vermuteten, dass diese zwei Typen gehört, welche wir am Vortag auf dem Camping sahen. Diese beiden warteten am gestrigen Tag auf dem Camping und gingen wahrscheinlich schon etwas früher los als wir. Kurzerhand montierten wir die Schlafmatte an Domis Rucksack und hofften später den Besitzer damit glücklich zu machen.

Die heutige Passage hatte eine Flussquerung und die erste Passüberschreitung auf dem Programm. Wir hatten von anderen die Info erhalten, dass das Tirolyenne (um den Fluss zu queren) kaputt sei und wir stattdessen, bevor wir zum Tirolyenne kommen den Fluss durchwaten sollen.

Der Wind und Regen peitschte in die einzige Angriffsstelle am Gesicht und so sah ich Domi vor mir nur verschwommen. Er musste fast schreien, damit ich ihn verstand, als er auf einen Fluss zeigte. Er meinte, da müssten wir rüber. Bitte was? Das hatte so gar nichts mit meiner „Flussquer-Vorstellung“ zu tun. Es war nicht zu erkennen wie tief der Fluss in der Mitte war und das Wasser zog so schnell, dass ich nicht sicher war, ob wir drin überhaupt stehen, konnte ohne das wir umfielen.

Es war etwa 10.00 Uhr morgens und mein Körper wollte schon wieder abkratzen. Die kalten Temperaturen, der Wind und die Tatsache das meine „Wasserfesten“ Kleider erwartungsgemäß alle schon durchließen führten dazu das meine Hände und vor allem Füße so kalt waren das ich kaum den Rucksack abziehen konnte. Dies ist übrigens auch der Grund, weshalb auf den meisten Bildern nur ich abgebildet bin, das Handy konnte ich leider nicht mehr bedienen. Wir entschieden, dass Domi in den Fluss steigt und schaut, ob unser Vorhaben überhaupt realistisch war. Schon ein paar Schritte später kehrte er um und informierte mich wiederum fast schreiend, dass die Steine zu glitschig wären und das Wasser so kalt, dass ich das wohl nicht überlebe. Wir kamen zur Erkenntnis, dass es eine andere Stelle geben muss, wo die Leute querten, und gingen weiter Richtung dem auf der Karte eingezeichnetem Tirolyenne.

Von weitem sahen wir leuchtende Regenjacken von Leuten die offensichtlich daran waren sich am Tirolyenne zu sichern. Die Information, dass dies kaputt sei, war also falsch und so gingen auch wir dorthin. Für mich war es das erste Mal mit einem Tirolyenne, besser gesagt das erste Mal überhaupt mit einem Gstältli. Mein Blick war wohl so panisch, dass mich der eine fragte, ob ich nervös sei. Ich antwortete, nicht nervös, aber unsicher, ob ich das Schaffen würde.

Das Stahlseil hing etwa 20 Meter über dem Fluss, mit der Höhe habe ich es nicht so. Ich sagte dem Mann das ich meine Hände nicht bewegen konnte und es schwierig wäre mich hinüberzuziehen. Dann wendete ich mich an Domi und sagte ihm, dass wir besser durch den Fluss gehen. Er folgte meinem Wunsch und wir gingen runter an den Fluss. Dort angekommen begutachtete ich die Situation und musste eingestehen, dass es dort nicht besser war.

Scheisse! Wir gingen wieder zurück zum Tirolyenne. Ich hatte Tränen in den Augen und sagte zu Domi das ich wirklich nicht weiß, ob ich das Schaffen würde. Er glaubte so stark an uns beide und er war so entschlossen hier und heute über diesen Pass zu gehen das ich entschied es einfach zu versuchen. Gleichzeitig fühlte ich mich aber auch nicht zu etwas gedrängt.

Wir durften keine Zeit verlieren, weil wir sonst auskühlen würden. Routiniert band mir Domi das Gstälti an und zum Glück bot der Mann am anderen Ende an kurz zu warten. Für umfangreiche Instruktionen fehlte die Zeit und so sagte Domi einfach ich sollte die Arme über den Kopf nehmen und mich rüber ziehen. In diesem Moment war das so anstrengend für mich, dass ich Geräusche machte, als würde ich wohl ein Kind bekommen. Nach zwei Drittel dachte ich ans Aufgeben. Mein Hirn funktionierte noch und so überlegte ich, was dann die Alternative war. Zurückgehen ja, aber ob das besser war?

Mit letzter Kraft schaffte ich es rüber und konnte meine Schuhe auf den rutschigen Stein abstellen. Der Mann wusste offensichtlich, was er tat, und stellte meine Sicherheit sofort fest. Der Karabiner henkte er um, sodass ich auch nicht aus Versehen in die Schlucht runterfallen könnte.

Du kannst dir nicht vorstellen wir das Adrenalin in diesem Moment seinen Job tat. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade einen Berg auf die Seite verschoben oder einen Stierkampf gewonnen. Während ich mich noch erholte, kam Domi rüber. Auch für ihn war es anstrengend, mehr weil er noch einen Rucksack mitnahm. Ich schaute ihm zu und dachte nur: „Yeah, das ist mein Mann“ haha! Er hatte das Los und ging noch einmal rüber und holte den zweiten Rucksack. Im Nachhinein schon fast lächerlich wie ich fast starb vor Anstrengung, während Domi das zweimal machte.

Als wir weitergingen regnete und windete es immer noch und wir hofften beide, dass sich das Wetter noch bessert. Das Terrain war nicht wie am ersten Tag einfach, sondern wurde technisch immer anspruchsvoller. Die halbe Zeit krakselten wir auf der Moräne rum, schon von weitem sahen wir auf den Gletscher. Auch sahen wir auf Distanz einen Guide mit einem Gast und versuchten zu erkennen, wo er abstieg, um über den Gletscher zu gehen. Es gab keinen Weg mehr. Zum guten Glück hatte Domi Erfahrung mit Gletschern und so stiegen wir an der richtigen Stelle ab und betraten den Gletscher.

Die Überquerung des Eis wollten wir noch vor der Mittagspause meistern und so waren wir konzentriert bei der Sache. Wir hatten keine Steigeisen, dies war nicht nötig, weil es eingefrorene Moräne Steine hatte. Solange wir den Pfad mit Steinen sahen, war alles okay. Aber Wehe wir bogen ein bisschen ab war es, als würde man auf glattem Eis gehen. Das Ganze in Kombi mit unseren Flipflop-Sohlen raubte Kraft die zu schwinden drohte. Immerhin stoppte der Regen und die Sonne kam zögerlich raus. Was für ein Segen das war.

Wir waren mitten in der Passsteigung als ich Domi vorschlug Lunch zu nehmen. Es gab „Resten“ vom Vortag und so war das Essen eher spärlich. Um auf den Paso de Viento zu gelangen waren es weitere etwa 500 Höhenmeter und so hoffte ich das die Energie dafür ausreichen würde. Der weitere Weg war steil und geprägt von viel Moräne, was das Vorwärtskommen extrem erschwerte. Der Pass machte seinem Namen alle Ehre und so merkten wir auch wie zunehmend mehr Wind-Böen aufzogen.

Unsere Köpfe waren entschlossen dort rüberzugehen, dass machte alles einfacher. Nach der Überfahrt mit dem Tirolyenne, der Gletscherüberquerung und den letzten Stunden Moräne-gekrakselt war für uns umkehren keine Option mehr. (Ausser natürlich es wäre nüchtern betrachtet zu gefährlich gewesen) Weil es das nicht war, setzten wir unsere Wanderung fort. Belohnt wurden die Anstrengungen mit einer atemberaubenden Aussicht.

Kurz bevor wir die Passhöhe erreichten, trafen wir noch die zwei Typen. Tatsächlich waren es die beiden die die Matte verloren hatten. Sie waren zwei Stunden vor uns gestartet und machten gerade eine Pause. Auch sie waren erschöpft und so konnten wir einander ins „Tschöppli gränne“ 😉 Spaß, die Sonne schien mittlerweile und vieles vom Vormittag war längst vergessen. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen Spanier und Argentinier handelte. Weil sie gestern auf dem Camping festsaßen, waren sie nicht sicher, ob sie heute noch weiter als der Camping, nachdem Pass gingen. Dies weil sie zu wenig Essen dabeihatten. Wir dachten uns nur: Viel Spass dabei, der Camping 4km nach der Passhöhe war für uns Endstation. Keinen Meter weiter würden wir gehen. Wir verabschiedeten uns und machten den nächsten Stopp erst als wir oben angelangt waren und einen wahnsinnigen Ausblick hatten auf das Gletscherfeld. Wow, Wow und nochmals Wow!

Wir trafen noch ein weiteres Dreier-Gespann von Leuten, die den Huemul-Trek nicht durchwandern konnten, weil sie Angst hatten vor dem Wind. Angst hatten wir nicht, aber Respekt – Immerhin waren wir während der gesamten Zeit nur auf uns gestellt, ein Handysignal suchte man vergebens. Um 17.00 Uhr erreichten wir überglücklich unseren zweiten Schlafplatz.

Auch für heute hatten wir ein Süppli auf dem Speiseplan. Das war auch das einzig tolle am Essen, das werde ich Domi ewig „fürha“. Dazu gab es Polenta mit Tomatensauce. Ich ertappte mich beim Auskratzen der Pfanne und wünschte mir für einmal mehr Essen dabei zu haben.

Du denkst jetzt sicher, ich spinne. Aber bei einem solchen Trek ist Beherrschung etwas Essentielles. Ich bin zu 100% sicher, dass einige Leute es nicht geschafft hatten, aufgrund der Essensrationen. Bei solchen Treks kannst du logistisch nicht die Menge mitnehmen, die du eigentlich brauchen würdest. Das wird dir nicht schaden, benötigt aber in diesen Momenten etwas an Selbstdisziplin. Ansonsten wirst du „aus Versehen“ alles auffressen das du dabeihast. An diesem Abend waren wir eisern, befolgten den Menüplan und gingen früh zu Bett.

Der nächste Morgen erwachte und so auch der Dritte Wandertag. Möchtest du wissen, ob wir weiter eisern blieben und genug essen hatten und ob wir den 35 Meter breiten Fluss queren konnten, dann empfehle ich dir den dritten und letzten Teil zu lesen.