Alte Bekanntschaften
In Istanbul trafen wir vor etwa zwei Monaten Mehdi. Er ist Iraner, etwa 35 Jahre Alt und lebt in der Hauptstadt Teheran. Ich weiss noch, als wäre es gestern gewesen. Wir strampelten völlig fertig einen Hügel hinauf und plötzlich hörten wir einen lauten Ruf. „Haaaay, where are you from?“ So startete ein lustiges Gespräch und aufgeregt meinte Mehdi, dass wir immer willkommen seien. Damals dachten wir nur: Mal schauen ob wir überhaupt so weit kommen.
Als wir uns tatsächlich Teheran näherten kamen wir der Bitte nach und kontaktierten Mehdi. Wir hatten wenig Hoffnung, dass er sich an uns erinnern würde. Da machten wir die Rechnung ohne ihn, er antwortete prompt, sein Angebot stand noch. Nicht nur das, er bot uns sogar an uns am Bus Terminal abzuholen. Wie lieb – Wir müssen aufpassen, dass wir nicht bequem werden bei all diesem Komfort.
Meine Skepsis über den bevorstehenden Velo-Transport mit Mehdi’s Auto war gross. Zur Sicherheit und vor allem meiner eigenen Beruhigung sendete ich Mehdi ein Foto der Velos mit allem Gepäck. Ich wollte sicher gehen, dass unser Hab & Gut im Auto Platz hat.
Seine Antwort gab’s in mehreren Sprachnachrichten mit dem Inhalt: „Reeeeebi…nooo problem…no problem“. Gut, er war sich scheinbar seiner Sache sicher. Ich sollte aufhören mir immer Sorgen zu machen und etwas mehr vertrauen.
Am frühen Morgen erreichten wir das Busterminal. Es sah zumindest so aus, ganz sicher sind wir nie, in den Bussen sucht man vergebens nach englischen Informationen. Mehdi meldete seine Verspätung wie immer in Form von Sprachnachrichten: „Sooorrrryyy trafic is so baad“. Für uns war das kein Grund zur Aufregung. Wir waren da, wo wir sein sollten, hatten einen Tee in den Händen und die Morgensonne küsste unsere Gesichter.
Für den Stadt-Verkehr gibt es keine Worte. Nicht einmal in Bangkok habe ich die Situation auf den Strassen derart krass wahrgenommen. Fast jeder der 12 Millionen Einwohner besitzt ein Auto und pendelt täglich. Wie lange man für eine Strecke von A-B hat, ist nicht abschätzbar, dies bemerkten wir auch bei späteren Ausflügen. Auch die komplett überlastete U-Bahn ändert nichts an den chaotischen Strassen.
Domi sagte noch: „Stell dir vor Mehdi kommt mit einem PW“. Die Stimme von Mehdi halte in meinem Kopf nach „noo prooblem..“. Was denkst du, was passierte wohl?
Korrekt: Mehdi kam mit einem PW, genauer gesagt mit einem kleinen Peugeot. Verwundert schaute ich mich um: Will er uns verarschen? Wo ist die versteckte Kamera?
Wir merkten schnell, Mehdi der Optimist ‚himself‘ meinte das ernst. Sofort begann er die Rückbank mit unseren Taschen zu beladen. Gleichzeitig ermahnte er uns wir sollen uns beeilen – Diebstahl sei hier gefährlich.
Unsere Angst vor Dieben war hundertmal kleiner als die Sorge, dass die Räder nicht ins Auto passen. Mehdi dagegen war überzeugt und reichte Domi eine mehr bessere Haushaltsschnur und sagte er solle die Räder einfach reinlegen, es mache nichts, wenn der Kofferraum offen bleibe.
Paar Minuten später fuhren wir zu Dritt durch die Stadt und hörten dabei so Laut iranische Chart-Musik, dass wir wohl nicht gehört hätten, wenn ein Rad rausgefallen wäre.
Mehdi parkierte komisch in der Einfahrt, fast noch halb auf der Strasse, obwohl es eine Einstellhalle gab. Er erklärte uns, dass er keinen fixen Parkplatz hat (wohl aus Kostengründen) und er jeden Abend an einem anderen Ort parkiert. Wir erlebten es, dass wir mehr als 20 Minuten nachhause gingen.
Wir waren gespannt wie Mehdi lebt und wie seine Wohnung aussieht. Er wirkte auf uns als moderner und stilvoller Typ. Ich glaube es liegt in der Natur des Menschen, dass man daraus Rückschlüsse zieht, und wir stellten uns dementsprechend sine vier Wände vor.
Wir hievten alle Taschen in den Lift und fuhren in den fünften Stock. Die Tür war offen und ich sah nur Teppiche. Etwas verwirrt schaute ich mich um, es gab keinen Tisch, kein Bett und auch sonst kaum Möbel. Ich fragte vorsichtig, wo er schlafen würde, er verstand die Frage nicht auf Anhieb. Nur wenige Iraner leisten sich ein Bett, vielmehr ist es üblich auf dem Teppich zu schlafen.
Bevor Mehdi zur Arbeit musste, hatte er noch ein paar Minuten Zeit. Sein Chef erlaubte ihm ausnahmsweise und ungern etwas später zur Arbeit zu kommen. In seiner Branche, dem Zollwesen, ist im Moment sehr viel los. Dies hat zur Folge, dass er manchmal zwei Wochen durcharbeitet. Im Iran gibt es auch Wochenende, der Freitag ist wie bei uns der Sonntag. Einige haben auch am Donnerstag frei, wie bei uns am Samstag.
Seit wir aus der Schweiz raus sind, hat niemand mehr Probleme über das Gehalt zu sprechen. Wir lassen es uns jeweils nicht nehmen nachzufragen, sodass wir ein Gefühl erhalten für das Land und die Leute. Mit 300 Dollar Brutto Einkommen gehört er gemäss unserer Interpretation zur Mittelschicht. Würdest du für dieses Geld am morgen aufstehen? Ich schon, aber nur wenn die Lebenskosten im Verhältnis stehen würden. Genau dies ist im Moment ein brennendes Thema im Iran, die Inflation trifft die Bevölkerung hart. Aber jetzt zurück zum Thema:
Mehdi war es wichtig noch mit uns zu Frühstücken, auf dem Boden assen wir Fladenbrot und Erdnussbutter. Keine Ahnung wie viele kg Fladenbrot wir schon reindrückten, evt. wäre die Masseinheit Tonnen passender. Das Brot ist in meiner Wahrnehmung nur frisch gut verzehrbar. Aus Zeit Gründen kauft Mehdi wie viele andere immer 4-5 Brote und lagert die anschliessend im Kühlschrank. Ich nenne das dann Diät-Brot, man verzichtet freiwillig davon zu nehmen.
Wir hatten noch etwas Früchte übrig und wollten diese mit Mehdi teilen. Er lehnte ab mit der Begründung das man in seiner Kultur keine Früchte zum Frühstück isst. Weiter erklärte er uns, dass die Iraner zwar in rohen Mengen Früchte einkaufen (können wir bestätigen von unseren Beobachtungen am Markt), diese dann aber im Kühlschrank vergammeln. (Auch das sahen wir Zuhauf) Bravo, wir riskieren lieber eine Frucht-Vergiftung, als dass wir etwas wegwerfen werden. Wir hassen Foodwaste.
Er musste zur Arbeit und ermahnte uns beim rausgehen noch. Wir sollen ja aufpassen, wenn wir das Haus verlassen würden. Es sei gefährlich. Vom Nachtbus waren wir müde und so hatten wir so oder so nicht vor grosse Sprünge zu machen.
Gegen Mittag bekamen wir einen Snack/Müesli-Hunger und gingen trotz der Warnung raus. Wir fühlten uns wie richtige Gangster. Das Fladenbrot wurde uns geschenkt, beim freundlichen Bäcker mussten wir für Süsswaren, Chips und Snacks auch nichts bezahlen. Der Melonen-Verkäufer war auch nicht furcht erregend und auch sonst verlief alles friedlich. Natürlich meinte es Mehdi nur gut, aber um uns muss man sich keine Sorgen machen. Gefährliche Situationen gab es im Iran bisher nur auf dem Fahrrad im Verkehr.
Um 14.00 Uhr hatte Mehdi schon Feierabend. Im Sommer ist es für die Iraner üblich „nur“ bis dann zu arbeiten aufgrund der heissen Temperaturen. An Alle mitlesenden Ex-Chef’s von mir: Das wäre doch auch etwas für die Schweiz? 😉 Wie am Morgen angekündigt wollte Mehdi für uns den Kochlöffel schwingen und ein spätes Mittagessen zaubern. Auf dem Menü standen Reis und Chicken. Erstaunlicherweise sind die Iraner immer sehr von ihren Kochkünsten überzeugt, ich versuche immer noch herauszufinden wie sie darauf kommen. Es war Nahrung, mehr leider nicht. Aber für uns „Schlingel“ war es verkraftbar, wir hatten mit unserem Lunch schon „bödelet“. Ich bin ein bisschen undankbar merke ich gerade. Aber nehmt es mir nicht übel, ich habe einen Reiskoller und kann keine neutrale Beurteilung mehr vornehmen.
Die dreckigen Teller und Pfannen stellte Mehdi in die Spüle, ihm war Sauberkeit nicht nur in der Küche nicht besonders wichtig. Für mich fast unaushaltbar, allgemein hätte ich ihm gerne alles geputzt. Durch den Kontakt mit Einheimischen sehen wir des Öfteren in Haushalte rein und stellen fest, dass „unser“ Standard keine Messlatte ist. Für mich persönlich eine Lebensschule, ich habe schon oft mein eigenes Verhalten überdenkt. Zum Beispiel Situationen, wie wenn ich noch das Besteck abwasche bevor Besuch kommt um ja sicherzustellen das nirgends ein Wasserfleck zu sehen ist. Hier kann man froh sein, wenn nicht noch Reis von letzter Woche zwischen den Gabel-Zinken klebt.
Als nächstes stand ein Besuch in einem luxuriösen Einkaufszentrum an. Dort angekommen realisierte ich wie paradox die Situation war. Als erstes liefen wir durch die Lebensmittel-Abteilung. Es gab ALLES zu kaufen, kein Wunder, der Komplex war auf Touristen ausgelegt. Während Mehdi zuhause nur Reis, Joghurt und Chicken isst, zeigte er uns alle Leckereien. Iraner (diejenigen welche wir bis jetzt kennengelernt haben) können sich diese Vielfalt an Lebensmittel gar nicht leisten. Anmerkung: Das Sortiment ähnelte einem Coop Megastore. Vielleicht flashte mich das Ganze auch nur so, weil es schon eine Weile her ist, seit ich mehr als eine Sorte Haferflocken sah und mich nun eine Auswahl von 50 verschiedenen Ceralien überfordern. Keine Ahnung wie ich jemals wieder mit dem Überangebot in der Schweiz klarkommen soll. Auf dem Bild seht ihr die kleine Auswahl Tomatenpüree.
Auf dem Weg degustierten wir ein Alkoholfreies Bier, im Iran gibt es Alkohol nur auf dem Schwarzmarkt.
Wir nahmen die Rolltreppe bis in die oberste Etage. Dort betraten wir einen Einrichtungsladen welcher mich an einen Mix zwischen Ikea, Pfister und Conforama erinnerte. Wir merkten, Mehdi war nicht das erste Mal hier. Er war richtig begeistert von den Ausstellungen, den schönen Geschirr und der stilvollen Dekoration.
Ich verstand gar nichts mehr, sein Appartement war minimal zweckmässig, aber nicht eingerichtet. Etwas nachdenklich lief ich hinter den Männern her. Über diese surreale Situation machte ich mir noch lange Gedanken.
Anschliessend fuhren wir zur Talstation des Torchal, damit wir für unsere kommende Wanderung wussten, wo wir hin müssen.
Auf dem Rückweg wollten wir in einem Restaurant essen. Leider gerieten wir in einen riesigen Stau, wir waren über 1.5h im Auto. Normalerweise habe ich IMMER Wasser dabei, dieses Mal vergass ich es und wäre beinahe am Durst-Tod erlegen. OK, bisschen übertrieben, aber bei fast 40 Grad muss man schon für sich Sorgen. Mehdi wusste, dass ich kein Fleisch esse. Leider wählte er trotzdem ein Restaurant wo es nur Reis und Kebap gab. Der Salat rettete aber alles. Er war zwar eingepackt in einer Plastikschale, aber hier gelten andere Gesetze. Es war unmöglich Mehdi einzuladen, er bezahlte für uns. 15 Dollar scheinen für uns „keine grosse Sache“, für ihn sind das 5% vom monatlichen Einkommen. Ein Grund mehr, warum es sich die Iraner nur noch einmal im Monat leisten können auswärts essen zu gehen.
Zuhause angekommen wollten wir nur noch schlafen, aber Mehdi hatte andere Pläne. Er ist ein Nachtmensch uns so wurde es spät. Im nächsten Beitrag erzähle ich noch ein bisschen mehr von unserem Aufenthalt bei Mehdi und wie wir den 1. August verbrachten. Seit gespannt 😊
Rebi August 2022