Türkisches Picknick
Bis zur iranischen Grenze ist es nicht mehr weit und ich habe mir überlegt, was ich noch über die Türkei schreiben möchte. Spontan kam mir das Thema „Picknicken“ in den Sinn. Ich finde die Unterschiede zum Schweizer „Grillen“ widerspiegeln einige kulturelle Unterschiede, welche mich zum Schmunzeln aber auch zum Nachdenken anregten.
Betonen möchte ich, dass der folgende Text ein Abbild meiner Wahrnehmung ist und ich mich weder hundertprozentig im Türkischen-Picknick-Business auskenne noch als ambitionierte „Grilleuse“ bezeichnen würde.
Während wir durch die Türkei radelten, kamen wir immer wieder an Plätzen mit dem Namen „Picknick Alani“ vorbei. Einheimische treffen sich dort um gemeinsam zu Picknicken. Damit ist entweder das Kahvalti (türkisches Frühstück) oder das Barbecue gemeint.
Um einen solchen „Alani-Platz“ zu finden, muss man nicht wie in der Schweiz auf einer Wanderkarte das „Grillplatz-Zeichen“ suchen und sich dann durch dichtes Unterholz kämpfen bis man das Grillfeuer entdeckt. Die Plätze sind in der Türkei gut markiert und befinden sich meist direkt am Straßenrand.
Weiter erkennt man den Platz gut an dem Zaun oder der Mauer, welche das Areal markieren. Sobald man seinen Eintritt gezahlt hat, bekommt man Zugang. Ja du hast richtig gelesen, man bezahlt etwas, um reinzukommen. Familien, die das nötige Kleingeld nicht haben, oder weniger auf das Ramba-Zamba stehen essen dann direkt an der Hauptstraße, dies beobachteten wir unzählige Male auf dem Rad.
Zurück zu den Hardcore-Picknicker: Zwischen fünf und hundert Tischen stehen zur Verfügung, oftmals kann man mit dem Auto direkt bis zum präferierten Platz fahren. Nicht selten gibt’s sogar Häuser, die für Privatsphäre sorgen und einem vor Wind und Wetter schützen. Natürlich gibt’s auch eine Toilette – oftmals der unhygienischste Ort. Weit wichtiger und gepflegter ist die Moschee, diese wird rege besucht.
Als Pendant kommen mir zum Beispiel die Grillplätze in der Schweiz in den Sinn, welche vom ortsansässigen Frauenverein oder der Männerriege unterhalten werden. Meist gibt’s ein schöner Holztisch und genügend Brennholz. Ein Verdienst resp. ein Geschäft gibt’s da selten draus – Das Ganze ist mit viel Gutwill verbunden und als Gegenzug versuchen die Besucher den Grillplatz sauber zu hinterlassen.
In der Türkei dagegen ist das ein gut rentierendes Wochenend-Geschäft. Domi & Ich geben zu, dass wir auch schon sinniert haben einen solchen Platz zu betreiben. Zwischenzeitlich haben wir die Idee wieder verworfen, Domi möchte lieber ein Tee-Haus eröffnen. Also, am Freitag geht’s los (ist ein Freitag wie der Sonntag bei uns) und dann Samstag und vor allem Sonntag wird gepicknickt wie die Wilden. Damit alles reibungslos über die Bühne geht gibt’s Personal (meist die Jugendlichen-Kinder der Besitzer) welche Cay-Öfen und Kebap Grille zur Verfügung stellen.
Wenn man sich in der Schweiz zum Grillen verabredet, läuft das zumindest in meinen Kreisen meistens etwa so: Zuhause packt man seinen Rucksack mit dem Schweizer Sackmesser drin, was später mehrere Funktionen erfüllt. Auch mit dabei ist sein eigenes Grillgut und evtl. Beilagen. Beim Fleisch gibt’s zwei Lager: Die einen welche extra um Metzger fahren um ihre Lieblings Grill-Schnecke mit dem speziellen Curry Geschmack holen und die anderen welche einfach eine Cervelat oder Bratwurst einpacken. Weiter gibt‘s noch den Frauen/Männer Unterschied, was über die Anzahl Beilagen entscheidet. 😉 Männer grillen mit Fleisch, Chips und Bier. Frauen dagegen bemühen sich noch um verschiedene Salate und etwa ein Dessert. Alles bringt man fix-fertig zum Grillplatz mit, auch beim Cake bastelt man noch extra eine Alufolien-Karton-Unterlage, um ja nicht Geschirr mitnehmen zu müssen. Ganz nach dem Motto: Es soll ja einfach sein 😉.
Das Motto „einfach“ übernehmen die türkischen Familien eher weniger. Zumindest nicht bei der Picknick-Ausrüstung. Wie gesagt fährt das vollbeladene Auto am liebsten bis an den Tisch. Das kann ich auch gut verstehen, da der Kofferraum voll also wirklich VOLL ist mit Utensilien.
Anstelle Pappkarton Teller oder Plastik-Gabeln ist beinahe der ganze Hausrat dabei. Teller, Gläser, Tassen, Besteck, Schalen usw. Zuerst dachte ich mir immer: Was zur Hölle? Wer braucht das alles? Ich habe das alles genau beobachtet und habe jetzt die Antwort darauf. Der Grund dafür ist, dass die Speisen nicht zuhause zubereitet werden – sondern das Zubereiten gehört dazu, quasi wie ein Ritual.
Die reine Vorbereitung kann locker einige Stunden dauern, derweil spielen die Kinder auf mitgebrachten Decken oder Nerven andere Touristen in der Gegend (ja zum Beispiel uns, wir können uns mit Zelt und Räder nur schlecht tarnen). Zum Beispiel wäscht die Mutter die Peperoni in drei verschiedenen Becken, während der Sohn das Hackfleisch würzt. Der Vater kümmert sich um die Fleisch-Spiesse und die Großmutter heizt derweil den Cay-Ofen ein.
Nachdem aufwändigen Zubereitungs-Prozedere, wenn das Fleisch und die Tomaten in der Kohle liegen und das Brot schon grenzwertig trocken ist wird alles innerhalb etwa 10 min verspeist. Kein langes Fackeln mehr.
Und wir Schweizer: Ja wir Genießen dann so richtig. „Hesch mr äch no d’Sauce?“ Und noch ein wenig Schlangen-Brot und dies und das, das Essen dauert sicherlich eine Stunde oder länger.
Ich glaube es ist auch ein bisschen ein „Schweizer-Ding“, dass man ja nie zu wenig Essen auftischen möchte oder man schon zuhause besorgt ist, dass der Tomaten-Mozzarella Salat vielleicht nicht für alle reichen wird… „Schaaaatz, meinst du das diese Schüssel reicht?“ Ich packe lieber noch etwas Brot ein, man weiss ja nie wer noch kommt. In der Realität kommt sehr selten jemand spontan dazu, aber das ist ein anderes Thema.
Diese Problematik umgehen die türkischen Familien, indem sie die Vielfalt der Speisen eher beschränken, aber dafür garantiert von allem mehr als genug haben. Besser gesagt, sie haben immer zu viel. Von allem.
In der Schweiz gab es noch selten, dass mir jemand etwas beim Grillen schenkte. Meistens ist man in seinem „Clan“ und weil man zuvor ja lange kalkuliert hat, wird es wohl auch wenig Resten geben.
In der Türkei dagegen wurden wir schon unzählige Male beschenkt. Gerade letztens, kaum angekommen hielten wir schon Cig-Köfte in den Händen. Während wir noch einen Platz suchten fürs Zelt streckte uns das nächste Brot mit Fleisch hin. Und später folgte Wassermelone und noch mehr Brot mit Fleisch. Domi hat auf solchen Plätzen immer eine Beinahe-Fleisch-Vergiftung. Das Teilen ist nicht nur mit uns Touristen üblich, sondern auch unter den Einheimischen.
Während man in den Schweizer-Wäldern die Ruhe genießt und die Eichhörnchen pupsen, hört ist es in der Türkei auf solchen Plätzen sehr, sehr laut. Aber es ist immer noch besser (wir reden aus Erfahrung), wenn der Platz-Chef Musik abspielt, welche über den ganzen Platz dröhnt, als wenn jede Familie ihre eigene traditionelle Musik hört.
Mein Fazit: Wenn ich wieder zuhause bin, möchte ich mich mehr mit Freunden und Familien zum Grillen treffen. Dies weil es eine schöne und unkomplizierte Art ist, gemeinsam Zeit zu verbringen. Den Cay Ofen lasse ich aber zuhause und anstelle des Türkischen „Geplimper“ hören wir besser ein Gölä-Klassiker.
Rebi 5. August 2022