Teamentscheidung

Gestrandet in Schweden wie zwei verwirrte Blauwale. Genauso fühlte es sich zu Beginn an. Nachdem wir monatelang ostwärts radelten, fanden wir uns plötzlich wieder im Norden Europas, in Mittel Schweden. In diesem Blog schaue ich zurück und versuche unsere vergangenen Überlegungen zu teilen. Weiter gibt’s einen Einblick in den Prozess, bis wir unseren neuen Plan „z’fadegschlage“ haben. Am Ende weisst du, wie und wo unsere Reise weitergehen wird.

Als erstes möchte ich Allgemeine Entwarnung geben: Entgegen manchen Befürchtungen bleiben wir nicht für immer in Schweden. 😉 Auch wenn es sehr schön war dort!

Zu unserer Freude verfolgen einige Bekannte und Freunde unsere Reise sehr genau. Gefühlt wussten diese manchmal besser Bescheid, wo wir waren, als wir selbst. 😉 Genau für diese Menschen, die zuhause die Landkarte aufgeschlagen haben und mitfieberten, waren wohl unsere Entscheidungen nicht immer ganz nachvollziehbar. Ich hoffe sehr, dass sich mit diesem Blog einige Fragezeichen auflösen.

Als wir in der Schweiz starteten, war unsere Idee mit dem Ferrari und dem Panzer, so nennen wir unsere Vierräder, nach China zu reisen. Als wir in der Türkei waren machte China immer noch nicht den Anschein, als würden sie die Pforten öffnen wollen. Wir überlegten wir uns intensiv, was eine stimmige Alternative wäre. Grundsätzlich war es für uns nicht schlimm, dass sich unser Ziel änderte. Vom ersten Tag an wussten wir, dass es gut möglich ist, dass unser Wunsch China (noch) nicht möglich sein wird. Trotzdem brauchte es einige Tage, um sich der neuen Situation anzunehmen. Dazu benötigten wir auch eine neue Route, welche uns ermöglicht viele weitere Monate zu reisen.

Wir diskutierten verschiedene Optionen. Eine war nach dem Iran noch weiter östlich zu reisen, in Richtung Indien. Auf die unsichere Lage inkl. Polizeieskorte in Pakistan hatten wir aber keine Lust. Wir wollten Fahrrad fahren und nicht von morgens bis abends Korrupten Polizisten Scheine in die Hemdtasche stecken, nur damit wir ohne Probleme weiterkommen. Auch der Gedanke „Indien mit dem Fahrrad“ fühlte sich unentspannt an. Die Kultur interessiert uns zwar sehr und für uns ist klar, dass wir auch diese Ecke der Welt noch entdecken möchten. Das kann aber warten, der jetzige Zeitpunkt wäre der falsche.

Südostasien war weiter im Thema. Der Aspekt, dass wir, um länger im Gebiet zu reisen immer wieder das Schiff/den Flieger nehmen müssen, um Bsp. nach Indonesien zu gelangen, stimmte für uns auch nicht zu hundert Prozent. Meine Erfahrungen von früheren Reisen nach Thailand, Malaysia, Singapur und Vietnam machten mich weiter unsicher. Mein Reisestil damals war anders, dennoch stellte ich mir die Frage, ob wir mit Zelt und Fahrrad dort Spaß haben werden.

Selbst Afrika schwirrte in unseren Köpfen. Das wäre schon spannend… Ich stellte mir schon vor, wie wir den Giraffen zwischen den Beinen durchfahren. Später las ich einen Beitrag auf Instagram von einer Velofahrerin. Sie beschrieb locker, was sie normal in Afrika dabeihatte. Dazu gehörte unteranderem ein Schwert und ein Säbel. Ich erzählte das Domi und er meinte trocken: „Ich würde denk auch eine Pistole mitnehmen“. Was zur Hölle? Rebekka hat den Chat verlassen – Ohne mich!!!

Unser Motto war: Es gibt nur Lösungen. Niemand wusste was „richtig“ ist. Politische Lagen ändern sich ständig, gefährlich ist es überall und doch nirgends. Am Schluss muss man mal los, anpassen geht immer.

Die Idee war geboren: Weiter Ostwärts durch die Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, dann einmal quer durch Saudi-Arabien und dann via Jordanien, Israel nach Kairo zu radeln. Dort wären wir beide inkl. den Fahrrädern in den Flieger gehüpft und rüber nach Südamerika gejettet. Dort angekommen wären wir weiter Fahrrad gefahren, bis unsere Beine breiter wären als unsere Schultern. Der „neue“ Spielplatz hätte eine Vielzahl an Möglichkeiten geboten. Schon nur in den Anden kann man sich Monatelang austoben.

Als wir unsere Idee Domis Familie kundtaten überlegten sie sich uns im Oman einen Besuch abzustatten. Wir fanden das super, auch zeitlich würde es gut passen.

Gut ein Monat verfolgten wir diesen Plan. Im Iran versendeten wir ungeplant unsere Räder und das änderte alles. Wir hatten ein „klitzekleines“ Problem – Wenn man dem so sagen kann. Uns fehlte jetzt das Fortbewegungsmittel um den Plan weiterzuverfolgen. Klar hatten wir unsere sexy Taschen (du erinnerst dich bestimmt, 1 Dollar Schnäppli vom iranischen Bazar), aber für eine Reise durch die Sahara-Wüste war es nicht das gelbe vom Ei. Unser Masterplan wurde begraben, wahrscheinlich ertränkten wir ihn mit sehr viel Tee.

Wir reflektierten die vergangenen Woche und stellten fest, dass uns die Reise ohne Velos noch mehr „brauchte“ als mit den Velos. Beim Fahren konnten wir viele Eindrücke verarbeiten. Beim schnelleren Reisen mit Transportmitteln und den dauernden Interaktionen mit Einheimischen wurde das zunehmend schwieriger. Weil wir alles aufsogen, wie Schwämme und an jedem Gespräch teilhaben wollten, als wäre es das letzte, wurden wir mit der Zeit müde.

Planänderungen gehören zu unserem Spezial-Gebiet und so ging es dieses Mal zügiger den weiteren Weg zu definieren. Aus der Kombination, dass wir keine Velos mehr hatten und der Tatsache das wir etwas müde waren entschieden wir eine Pause einzulegen.

Zeitlich waren wir wieder super im Hick. Das Iran Visa lief aus, ein paar Tage Dubai und dann in den Oman. Einen Monat Pause und dann rüber nach Südamerika. Wir überlegten uns, wo wir diese Pause machen wollen.

In die Schweiz zurückzukehren stand auch zur Diskussion. Zwei Nescafé später waren wir uns zu hundert Prozent sicher, dass dies keine Option war. Wir waren in einem anderen Modus, der Alltag hätte uns völlig aus der Bahn geworfen.

Nach Zypern? Nach Indien? Nach Marokko? Die Welt bietet viele Möglichkeiten für eine Pause. Nichts überzeugte uns beide, sodass wir uns festlegen konnten. Irgendeinmal konfrontierte ich Domi mit der Idee, dass wir zu seinen Eltern nach Schweden fliegen könnten. Sein Blick sagte alles. Er fand das eine verrückte und komische Idee. Nachdem wir so weit im Osten sind plötzlich in den Norden zu fliegen mache doch keinen Sinn. Dabei ging es nicht darum, dass er seine Eltern nicht sehen wollte. Im Gegenteil, dieser Aspekt sprach für die Idee.

Zusammen definierten wir, was der Ort „bieten“ müsste, sodass wir uns „erholen“ können:

  • Nicht in den Alltag zurück
  • Sauberer Ort, ohne verstopfte Klos/Duschen und dreckige Küchen
  • Rückzugsmöglichkeit, weniger Interaktionen
  • Temperaturen wo Domi überleben kann
  • Nährstoff-Verfügbarkeit für Rebi

Immer wieder kamen wir zum Schluss, wie optimal Schweden wäre. Die Saison ist fertig, das Gästehaus wäre frei. Die Natur und die Stille würden uns guttun, auch die Temperaturen wären angenehm. Essens technisch wäre es Nonplusultra und wenn ich das Blut testen lassen möchte, kann ich sicher sein, dass ich nicht daran sterbe. Das gab mir ein gutes Gefühl.

Wir telefonierten mit Domis Eltern und teilten unsere Gedanken. Selbstlos stimmten sie unseren Überlegungen zu und erwähnten immer wieder, dass wir zu jederzeit willkommen seien. Sie bestärkten uns in unseren Überlegungen und so viel uns die Entscheidung noch einfacher.

Schlussendlich waren wir uns sicher. Wir bereisen den Iran fertig, dann mit der Fähre nach Dubai und machen im Oman eine Rundreise. Danach werden wir nach Schweden fliegen. Für uns war zu jederzeit klar, dass wir nach dem Monat in Schweden mit unseren Rädern nach Südamerika fliegen.

Wir fügten wir noch eine Woche Sardinien in unser Programm, man gönnt sich ja sonst nichts. 😉 Nur Spaß, auch das ergab sich spontan da Domis Familie nun nicht in den Oman kam, waren Familienferien im Süden eine großartige Alternative. Anfangs Oktober landeten wir dann in Arlanda.

Wie in meinem vorhergehenden Blog geschrieben kamen noch meine Eltern rauf, dann schauten wir zu Hof & Haus und hatten einen wunderbaren Herbst.

In dieser Zeit diskutierten wir nicht über die Weiterreise, denn es war ja alles klar. Sobald wir bereit sein werden, geht’s ans Flüge buchen, packen die Räder ein und setzen unsere Weltreise fort.

Mitte Oktober, nachdem wir etwas runtergefahren waren, begann ich planlos zu recherchieren und zog mir Content von anderen Fahrradfahrer in Südamerika rein. Ich las Dinge wie: Xy Höhenmeter auf Xy km. Mittlerweile kann ich mir sehr gut vorstellen, was das bedeutete. Ich wurde immer, wie unsicherer, ob ich das körperlich und mental schaffe. Dazu kam die Angst, dass wir rüber fliegen, ein paar Monate Velofahren und ich dann wiederum keine Energie mehr habe, um weiterzureisen.

Das wir die Fahrräder Nachhause sendeten war damals eine Kombination aus verschiedenen Dingen. Im Verlauf einer solchen Reise wird man hoffentlich schlauer und einen Veloversand zweimal, dass wäre zu mühsam und vor allem zu kostspielig. Ich merkte, wie in mir ein Druck entstand. Domi sagte sogar einmal, dass er nicht wisse, ob er sein Panzer Nachhause senden würde. Oder ob er allein weiterreisen würde. Ich hatte Verständnis für seine Haltung. Wiederum war ich mir sicher, dass wenn das Passieren würde, wäre das evtl. das Ende unserer Beziehung.

Du merkst, wir diskutierten hart und tiefgründig zusammen. Wenn du so unterwegs bist wie wir, geht’s nicht anders. Entscheidungen fällen wir immer 50/50. Besonders in Situationen ausserhalb der Komfortzone ist dies essenziell.

Die Versagensängste fraßen mich fast auf. Ich weihte Domi in meine Sorgenwelt ein. Er verstand mich, argumentierte aber auch, dass wir die Veloreise jederzeit anders gestalten könnten. Wir könnten die km/Tag reduzieren, mehr Pausen einlegen usw. Etwas sagte mir immer wieder, mental würde es schwierig werden. Vor der Reise war mein Kopf derart ungesund stark, dass keine Herausforderung mich hätte stoppen können. Je mehr ich meinen Körper kennenlernen darf, je mehr realisiere ich das es Grenzen gibt. Diese Grenzen sind für jeden individuell.

Nach und nach distanzierten uns vom reinen „Südamerika-Velofahren“ Plan. Plötzlich waren so viele Optionen auf dem Tisch, dass wir bald schon gar nichts mehr wussten.

An der Idee einen Bus auszubauen und nach Afrika runterzufahren, hingen wir ein paar Tage fest. Eines Abends verirrte ich mich auf der EDA-Seite und einige Blogs bekräftigten meine Sorgen. Egal wie fest uns das reizte, unnötige Risiken wollten wir uns trotz der Abenteuerlust nicht aussetzen.

Zuerst war die Idee ein VW Caddy auszubauen. Aus der Auto-Idee wurde es ein Bus. Vanlife? Sind wir die geborenen Vanlifer? Puuh…ich weiss nicht. Vielleicht nicht jetzt, vielleicht später? Je mehr YouTube-Videos ich mir zu Gemüte führte je mehr wurde ich bekräftigt. Der Hype im Moment geht für uns in die falsche Richtung.

Ich war hin und her gerissen. Südamerika fühlte sich so richtig an, aber mit dem Fahrrad… ich sollte auf meine Ängste hören – Das wusste ich genau.

In Belse, dort wo das Gästehaus steht, gibt’s ein See. Fast jeden Tag spazierte ich um den See und dachte über Möglichkeiten nach. Einmal kam ich zurück mit einer für mich HAMMER Idee. Motorräder! Das war es. Ich sah uns schon. Die wilden Mähnen unter unseren Oldschool Helmen würden im Wind flattern. Domi könnte Holzboxen bauen und dann könnten wir so schnell düsen, dass man hinter uns nur noch eine grosse Staubwolke sieht. Ich war mir sicher, dass ist es. Domi schaute mich ungläubig an. „Wie stellst du dir das den vor?“ „Wir haben nicht mal einen Führerschein“ meinte er trocken. Da hatte er Recht. Minus eine Idee.

Mit dem Pferd? Kann man ein Pferd fliegen? Wohl kaum, wir können beide nicht reiten. Domi kriegt schon Muskelkater, wenn er nur daran denkt. Also auch kein Vierbeiner.

Die vielen Möglichkeiten und Destinationen erdrückten uns beinahe. Wir waren schon fünf Wochen am Trekken, lebten in einem Camper, Domi reiste mit einem Bus, ich machte Gruppenreisen, Fahrradtouren, Mietauto im Oman. Ich würde behaupten das wir die Vor und Nachteile der Möglichkeiten kannten. Um zu entscheiden nicht nur gut.

Es war anfangs Oktober und wir hatten IMMER noch keinen Plan. Alle grösseren Entscheidungen fällen wir beim Laufen. Das war schon immer so. Wir spazierten um den See. Ich sagte zu Domi: „Und wenn wir einfach trekken, gehen nach Südamerika“. Er meinte: „Das haben wir ja auch schon besprochen, wie stellst du dir das den vor?“

Ich sagte: „Wir fliegen nach Chile mit unserer Trekking-Ausrüstung. Mehrheitlich schlafen wir im Zelt, weil wir das beide toll finden. Die Koch Utensilien nehmen wir mit“. Domi überlegte. Natürlich dachte ich bei meiner Idee an sein Unabhängigkeits-Bedürfnis. „Dann kaufen wir ein Auto, sodass wir flexibel sind.“ Der Gedanke gefiel uns beiden.

Wenn wir nicht Fahrradfahren hatten wir die Energie, um viel zu trekken. Chile, Argentinien, Bolivien, Peru. die Möglichkeiten sind immens.

Wir machten eine Extra-Schlaufe beim Laufen, wir spürten: Es wird gerade etwas Großes geboren. Domis Vater Stefan fliegt demnächst in die Schweiz, er könnte mein Hubba Hubba mitnehmen. Die Investitionskosten wären klein, was uns ermöglicht länger zu reisen.

Einige Tage später machten wir Nägel mit Köpfen. Wir buchten den Flug. Tönt easy, gell? In Wahrheit haben wir recherchiert, verglichen, gewartet, verglichen, 10 Cappuccino getrunken, überlegt und dann buchten wir. 😉

Am 23. November fliegen wir von Arlanda nach Frankfurt, weiter nach Toronto und landen wegen der Zeitverschiebung noch am gleichen Tag in Santiago de Chile. Wir werden über 30 Stunden unterwegs sein, hoffentlich können wir wie im Oman über drei Sitze quer schlafen.

Einen wirklichen Plan haben wir nicht. Ist auch schwierig aus der Ferne. Unser Ziel ist, dass wir zumindest eine Unterkunft gebucht haben, wenn wir dort ankommen. Dann wäre ein Autokauf und spanisch lernen gut. Mal schauen.

Auf die viel gestellte Frage: Wie lange werdet ihr dort sein? Haben wir keine konkrete Antwort. Wir lassen uns überraschen. Größere Planänderungen sind nicht mehr geplant 😉.

Heute, am 20. November, sind wir genau sieben Monate auf Weltreise. Unglaublich was bis dato alles passiert ist. Rückblickend war es die allerbeste Entscheidung sich länger an einem Ort aufzuhalten.

Jetzt sind wir aber wieder bereit in andere Kulturen einzutauchen, spektakuläre Landschaften aufzusagen und auch in unkomfortablen Situationen das Schöne zu sehen.

An dieser Stelle danke an Alle welche sich ab und zu auf unserem Blog verirren, den Instakanal verfolgen oder mit uns via WhatsApp in Kontakt stehen.

Rebi, November 2022