Gestrandet bei Einheimischen

Im letzten Beitrag (Salam Iran) konntest du lesen, wie wir über die Grenze in den Iran gelangten. Nachdem wir den Hügel runtergefahren sind, erreichten wir um ca. 11.00 Uhr Maku, die erste grössere Stadt. In diesem Blog erfährst du die Geschichte hinter dem untenstehenden Bild.

Gerade als wir uns auf eine Parkbank setzten wollten, sprach uns eine Frau an. Ihr Name war Parisa, sie war etwa in unserem Alter und lebte seit kurzem in der Stadt. Ihr etwas nach hinten gerutschtes pinkes Kopftuch matchte perfekt mit ihrem Umhang, welcher die engen Jeans kaschierte. Während wir uns auf Persisch unterhielten (Spässli, wir sind gänzlich verloren da wir nichts mehr lesen können) brachte uns ein Mann drei Eisbecher. Wow, was für eine nette Geste, damit hätten wir nicht gerechnet. Dankend nahmen wir die Erfrischung an.

Das Englisch von Parisa war recht gut (zumindest besser als meines), sie hatte in Täbris Tourismus studiert und arbeitete dort nebenbei als Touri-Guide. Nachdem sich ein paar Jugendliche zu uns gesellten, merkten wir das erste Mal, dass wir mit unseren Fahrrädern für Aufsehen sorgen. Plötzlich sagte Parisa: „Would you like to be my guest?“ Domi und ich schauten uns an. Der Plan war eigentlich jetzt etwas zu essen und danach einzukaufen für das Abendessen. Die Chance am ersten Tag einen Einheimischen zu besuchen wollten wir uns aber nicht entgehen lassen und so nahmen wir die Einladung dankend an.

Beim Nachhause Weg wirkte Parisa etwas verwirrt. Sie erklärte uns, dass sie vor neun Monaten Ihren Ehemann Achmed heiratete und neu in Maku lebt. Wenn sie ins Fitness-Center geht, nimmt sie jeden Tag einen anderen Nachhause Weg um ein Gefühl für die Umgebung zu bekommen. Kleiner Hinweis am Rande: Domi & Ich sind seit dem Grenzübertritt auch verheiratet – Immer in der Hoffnung das niemand unsere Zeremonie-Bilder anschauen möchte 😉.

Glücklicherweise fanden wir das Hochhaus noch, wo die beiden Zuhause waren. Die Räder sollten wir in die Tiefgarage bringen, draussen sei es zu gefährlich. Die „Hood“ sah nicht furcheinflössend aus, ausser ein paar spielenden Kinder war niemand zu sehen. Brav befolgten wir den Rat und durften dann mit dem Lift in den vierten Stock. Achmed öffnete die Tür und begrüsste uns freundlich. Sofort hatten wir zu viert eine tolle Unterhaltung und genossen bei einem Cay die Ruhe auf dem Sofa.

Vor uns stand ein Schokoladen-Kuchen. Nicht ein Selbstgebackener, sondern so ein in Folie eingepackter Klotz – Gibt’s bei uns bestimmt im Aldi auch zu kaufen. Dieser brachte Achmed von seinem letzten Türkei Trip mit. Wir wollten uns anstandshalber zurückhalten, es ging aber nicht. Domi verspeiste drei Stücke und ich eines. Der flüssige Kern krallte ich mir bei jedem Stück von Domi, dass muss wahre Liebe sein.

Im Iran hatten wir 1.5h Zeitverschiebung, Total sind wir nun 2.5h später als die Schweizer. Es war bereits 14.00 Uhr als Parisa uns anbot etwas zu kochen. Das war eine super Idee, nur was? Im Iran ist fast in allen Mahlzeiten Fleisch enthalten, was es mit einem Vegetarier auf dem Sofa nicht gerade einfach macht. Sie schaute ewig in den Kühlschrank und ich sagte immer wieder, dass ich auch einfach bisschen Brot essen kann. Alles kein Problem. Das kam ihr nicht in die Tüte und sie beschloss ein „berühmtes“ Essen zu machen, nämlich Makkaroni mit Soja anstelle Hackfleisch.

Bevor sie den Kochlöffel schwang, merkte sie noch an, dass es etwas dauern wird und ob wir Stress haben. Wir haben alles aber kein Stress und so genossen wir die weiteren Gespräche.

Als erstes erfuhren wir wie das Geld-System funktioniert, also der Unterschied zwischen der offiziellen Währung „Rial“ und der gängigen Benennung „Tuman“. Der Verlust an der Grenze war mit 3 CHF verkraftbar 😉 Die beiden erklärten das sie auch gerne ins Ausland gehen möchten, dies aber sehr schwierig sei und auch nicht finanzierbar. In den Ferien bereisen sie wie viele andere Iraner das eigene Land oder machen einen Besuch in der Türkei.

Plötzlich kam Parisa mit dem Fotobuch ihrer Hochzeit um die Ecke und Achmed schaltete den TV an um uns ein Video zu zeigen. Wie alle anderen Freizeit-Aktivitäten ist auch die Hochzeit geschlechtlich getrennt.

Für uns waren die Erzählungen sehr spannend. Ich glaube die beiden genossen es auch und von ihrem grossen Tag zu erzählen. Eine besondere Ehre war auch, dass Parisa mir einen Art Engel schenkte. Dies war damals das Gastgeschenk. Obwohl meine Lenkertasche vor Lauter Glücksbringer und Erinnerungen fast platzt, hat der Engel jetzt seinen Platz gefunden zwischen Portemonnaie und Pass.

Derweil wunderte ich mich, was an Makkaroni so lange dauert. Packung auf, Inhalt rein, warten – Finito Pepito. Mit dem Gedanken, dass ich evt. noch etwas lernen könnte schaute ich Parisa über die Schultern. Jegliche Hilfe wurde abgelehnt, wir seien Gäste. Sie netzte eine Art Brot und beförderte das mit etwa einem halben Liter Öl in eine Pfanne.

Danach schichtete sie die halbfertig gekochten Nudeln und das Soja abwechslungsweise in die Pfanne und überschüttete das ganze anschliessend mit Wasser und noch bisschen mehr Öl. Das Resultat war ein „Pasta-Turm“.

Ein paar Punkte Minus gab es für den Öligen Geschmack. Ich nehme mit: Warum kochen, wenn man auch frittieren kann 😉 Aber es war trotzdem lecker.

Gemäss Achmed gibt es nur sehr wenige Stellen, wo wir seriös Geld Wechsel können. Für uns ist Bares in der Tasche zu haben essenziell, Kartenzahlung ist im Iran ein Privileg der Einheimischen. Netterweise fuhr Achmed mit Domi in ein anderes Dorf um dies zu erledigen. Wir sind jetzt Millionäre 😊 Auch besorgten sie noch gerade eine iranische SIM – Bravo Jungs!

Unterdessen versuchte mich Parisa zu unterhalten. Dazu zückte sie einige Gesellschaftsspiele aus der Schublade. Ich sah das Glänzen in ihren Augen, Achmed ist wohl auch kein Spieler und nun roch sie in mir eine gute Spiele-Partnerin. Es tat mir im Herzen Weh… Aber wer mich kennt weiss, dass Gesellschaftsspiele nicht zu meiner grössten Leidenschaft zählen. Etwas untertrieben, ich hasse das. Wegrennen konnte ich nicht, so verwickelte ich Parisa in ein Gespräch und erfuhr weitere sehr spannende Dinge. Je mehr ich hörte je nachdenklicher wurde ich. Ihr grösster Wunsch sei es ein „normales“ Leben wie wir in Europa zu führen, ohne all diese Restriktionen, welche oftmals eher für die Frauen gelten.

Die Zeit verging wie im Flug und schon war es 17.30 Uhr. Der Weg vom geringsten Widerstand wäre das Schlafen im Wohnzimmer gewesen. Irgendetwas sagte mir aber, dass es gut ist sich nochmal aufs Rad zu setzten und aus der Stadt raus zu fahren. Nachdem wir uns dankend verabschiedeten machten wir uns auf die Suche nach einem Abendessen.

Grosse Supermarktketten und verlässliche Karten-Informationen über die Lebensmittel Verfügbarkeit gehören der Vergangenheit an. In einem kleinen Shop suchten wir nach etwas essbares. Während wir uns zwischen Waschmittel und offenem Zucker umschauten und immer wieder über Karton stolperten, schenkte uns der Ladenbesitzer zwei kühle Säfte.

Für Früchte und Gemüse zeigte er in eine andere Richtung, dort wurden wir dann endlich fündig. Wir radelten los und fanden nicht auf Anhieb einen Zeltplatz. Auf der Karte sahen wir einen Park etwas ausserhalb der Stadt, dort wollten wir bleiben. Kurz bevor wir den Park erreichten, wurden wir von einem bekannten Ruf gestoppt. „Cay, Cay“, drei Männer winkten und schon sassen wir bei Cay und einem trockenen Zitronencake auf einer Mauer.

Einer der Männer machte eine Spritztour mit Domis Rad und insgeheim dachte sich Domi wohl: Nimm’s nur, bin fertig für heute.

Der eine Mann wollte uns schon zu sich einladen und wir erklärten, dass wir im Park schlafen möchten. Er fuhr mit dem Auto (wohlverstanden es waren keine 30 m zu Fuss) zum Parkeingang und klärte alles für uns. Der Parkwächter sprach kein Englisch, übersetzte aber das es dunkel und gefährlich sei in der Nacht. Nach einem hin und her begriff er aber, dass wir keine Angst haben.

Nachdem unerwarteten Kuchen-Snack wollten wir nur noch ein paar Früchte essen und dann sofort in den Schlafsack.

Wir haben die Rechnung ohne die Iraner gemacht, immer wieder kamen Leute und schauten sich unser Zelt an. Jeder Besucher bot uns weiteres Essen an. Für heute waren unsere Pansen jedoch voll und wir waren nicht mehr empfänglich für all diese Nettigkeiten.

Erst die Fahrt bis zur Grenze, die Grenzüberquerung, der verrückte Verkehr, die Begegnung und der Besuch bei Parisa, all die neuen Eindrücke..– Was für ein erster Tag im Iran.

Rebi August 2022