Flipflop Trekking – Huemul Circuit Teil 1

Es ist so weit – Hier und jetzt könnt ihr in unser anstrengendstes und wildestes Trekking-Abenteuer miteintauchen. Am Sonntag, 5. März 2023 fuhren wir bei strömenden Regen in das Dorf El Chaltén ein. Wenn du noch nie in Südamerika warst, sagt dir der Ort wahrscheinlich nichts. El Chaltén liegt auf der argentinischen Seite in Patagonien und hat gerade Mal 1700 Einwohner. Also etwa gleich viel wie das Dorf Biglen, damit du es dir vorstellen kannst. Wir haben im Reiseführer gelesen und auch schon oft gehört das man dort gute Wanderbedingungen vorfindet. Umso motivierter waren wir als wir das Information Zentrum betraten. Unser Ziel war herauszufinden welche Wanderungen wir in welcher Reihenfolge unter die Füssen nehmen wollten. Während wir uns in die Menschenkolone reihten, um an Informationen von einem englischsprechenden Ranger zu kommen hörten wir etwas von Mehrtageswanderung, Gletscher und schwierig. Unsere Ohren waren gespitzt, wie es weiter ging kannst du in den folgenden Zeilen lesen. Auf dem Bild siehst du den Ort von oben.

Als wir an der Reihe waren wurden wir in die zwei Hauptwanderungen eingeführt. Einmal zur Laguna Torre und einmal zur Laguna de los Tres auch bekannt unter Fitz Roy Wanderung. Gut und Recht, aber wir waren neugierig auf das, was wir vorhin beiläufig hörten. Auf unsere Frage, ob es einen Mehrtages-Trek gibt, holte die Rangerin geheimnisvoll eine Karte unter der Theke hervor. Mit den Worten: „Das ist nur für erfahrene Wanderer, ihr müsst einen Gletscher queren“ breitete sie die Karte auf. Mit dem Finger zeigte sie entlang einer gestrichelten Linie, dort gehe der Weg durch. Vier Tage Wandern, Gesamt-Distanz sei etwas mehr als 70km.

Die Rangerin meinte, dass wir für mehr Informationen uns die PowerPoint im Nebenraum anschauen sollen, dort sei alles erklärt. Wir warteten einige Minuten, bis die spanische Ausführung fertig war und lasen gespannt Folie um Folie in Englisch. Für einmal war es wichtig die Details zu verstehen, dafür reicht unser „Espagnooool“ nicht. Remotes Wandern, ohne Signal. Flussüberquerungen mit einem Stahlseil genannt Tyrolienne. Über den Gletscher. Über den Paso del Viento, Ausblick auf das patagonische Eisfeld.

Die PowerPoint war noch nicht zu Ende als sich Domi und mein Blick traf. Darüber sprechen war überflüssig, klar war: Das ist genau unser Ding. Wir hatten nur ein kleines Problem. Unsere Schuhe. Im Bewusstsein, dass die Sohle unserer Wanderschuhe mehr einem Flip-Flop glich, sind wir hierhergekommen. Aber auch nur, weil wir in der Annahme waren, dass wir ein paar Touri-Wanderungen machen, und dafür würden die noch ausreichen. Auch scheiterte jeder Versuch unterwegs neue Schuhe zu kaufen.

Unser neues Vorhaben war aber eine ganz andere Nummer. Ohne richtiges Schuhwerk ist schon nur der Gedanke an die Wanderung ein bisschen geistesgestört. Ganz nach dem Motto: Es gibt nur Lösungen klapperten wir jedes Outdoor-Geschäft im Dorf ab. Weil es in Strömen regnete, machten wir das mit dem Auto. Unsere letzte Hoffnung war das „größte Outdoor-Geschäft“ ganz am Ende der Straße. Erwartungsvoll betraten wir den Laden. Auf die Frage, ob sie von den Schuhen noch andere Größen hätten, folgte ein unfreundliches „No.“ El Chaltén ist durch die beiden Granittürme (Cerro Torre auf 3128m und Fitz-Roy auf 3406m) ein echter Hotspot und haben es offensichtlich nicht nötig das Touristen etwas einkaufen.

Dass die Ladenbesitzer nicht auf die kauflustigen Outdoorer angewiesen waren, bestätigte auch die Antwort in einem anderen Geschäft. Vor der Abreise hatte ich auf eine Jack Wolfskin Regenjacke vertraut und musste traurig feststellen, dass diese in den Sektor schön aber unbrauchbar fällt. Meine Augen erblickten eine qualitativ hochwertige Goretex-Jacke, die mir gefiel. Wie so oft fehlte ein Preisschild. Als die Verkäuferin den Betrag nannte erntete sie einen entgeisterten Blick meinerseits. Als ich die Verkäuferin mit hochgezogenen Augenbrauen anschaute, wiederholte sie ihre Worte: 400 Dollar, als wäre es ein Schnäppli. Mir war es zwar mehr zum Weinen, wenn ich solches höre, aber entschied mich im letzten Moment doch noch zum Lachen. Mit einer Handbewegung zeigte ich Domi, dass wir schleunigst verschwinden. Ich murmelte kopfschüttelnd zu Domi: „Das sind alles Noname-Produkte und dafür werden horrende Beträge verlangt“.

Während der Regen an unsere Frontscheibe peitschte, fasten wir einen Entschluss: Wir gehen, halt mit unseren Flachsohlen. Den Umstand, dass meine nicht nur flach wie ein Papier waren, sondern auch noch wasserdurchlässig wie ein Sieb ignorierten wir. Wir waren derart motiviert und überzeugt das zu schaffen, dass uns nichts mehr stoppen konnte.

Nichts, außer der Wetterbericht. Die Worte der Rangerin hallten nach: „Am zweiten und dritten Tag braucht ihr zwingend gutes Wetter“. Diese Info nahmen wir sehr ernst, immerhin wollten wir uns nicht in Gefahr bringen.

Jeder andere hätte jetzt sofort mit der Vorbereitung gestartet. Nicht aber wir, wir gingen zuerst in ein Café und gönnten uns ein Stück Kuchen. Wir teilten eines, wir konnten uns noch nicht belohnen und so waren wir vernünftig. Nicht ganz einfach, die Kuchen in Theke schreiten völlig: „Iss mich“.

In ganz El Chalten ist das Internet derart langsam, dass es ein Wunder ist, wenn man nicht durchdreht. Eure Statusbilder konnte ich immer nur verschwommen anschauen, weil die Daten nicht reichten, um ein ganzes Bild zu laden. Aus diesem Grund gelang es erst nach mehreren Anläufen das Wetter zu prüfen. Während wir Gabel um Gabel Karottenkuchen genossen, kamen wir auf die Idee den Trek in drei anstelle in vier Tagen zu machen. Ich weiss bis heute nicht, ob es am Kuchen lag oder wie wir auf diese hirnriesige Idee kamen. Bei der Drei-statt-Viertages Variante gab es zu diesem Zeitpunkt nur Vorteile: Nur Essen mitnehmen für Drei Tage, was weniger Gewicht bedeutete, ein kürzeres Zeitfenster wofür wir gutes Wetter brauchten usw.

Zurück auf dem Parkplatz trafen wir noch zwei andere Schweizer, die gerade vom Trek zurückkamen. Weil die beiden den ganzen Tag im Regen gewandert sind, waren sie am Abend in Bier-Laune. Domi folgte der Einladung sich in einer Bar zu treffen. Ich dagegen zog den warme Schlafsack vor. Es war glaube ich das erste Mal nach einem Jahr, dass Domi ohne mich irgendwo hin ging. Schon fast aufgeregt verabschiedeten wir uns. Haha wie werden wir jemals wieder ein eigenständiges Leben führen können? Wahrscheinlich gar nicht, Domi kommt dann immer mit zum „Weiber-Klatsch“ 😉.

Der nächste Tag erwachte, es war der Tag vor dem Trek. Dies weil das Wetter noch zu unbeständig war und wir beschlossen lediglich zwei Aussichtspunkte zu besuchen und den Rest des Tages für die Vorbereitung zu nutzen.

Nachdem Frühstück wanderten wir los und erreichten schon kurze Zeit später einen Aussichtspunkt, wo man einen guten Überblick über das Dorf hatte. Der Wind zischte uns um die Ohren, eigentlich hätten wir das schon dort als „Warnzeichen“ deuten sollen. Aber natürlich dachten wir uns nichts dabei, wir elenden Optimisten 😉.

Etwa eine Halbestunde später konnten wir auch vom zweiten Aussichtspunkt den Ausblick in die andere Richtung genießen.

Weil wir noch ein „Gestältli, Karabiner usw. brauchten steuerten wir einen der Verleih-Geschäfte an. Am Vortag wurde uns gesagt, dass sie Unmengen an Ausrüstung hätten. Heute sah die Welt anders aus, eine Recovery-Line war keine mehr übrig. Der Geschäftsinhaber empfahl uns dafür noch einen anderes Geschäft aufzusuchen. Darauf hatten wir null Lust und Domi hatte die Idee stattdessen einfach eine einfache Schnur zu kaufen. Das war eine sehr clevere Idee und so suchten wir die nächste Ferreteria (Bei uns Eisenwarenladen, oder so etwas wie der Rüfenacht in Worb) auf. Wie hätte es anders sein können, als wir nach einer Schnur fragten wusste der gewiefte Verkäufer natürlich schon Bescheid, für was wir es bräuchten. Wir waren wohl nicht die einzigen die keine Recoveryline mehr mieten konnten. Er roch das Geschäft und hatte bereits vorgeschnittene Leinen zu einem horrenden Preis bereit. Da wollte er die falschen abziehen, wir kauften stattdessen eine Rolle Gartenschnur auf Risiko, dass sie genug lang war. Die fünfzigrappen-Lösung wird es richten.

Bevor wir am nächsten Tag aufstanden, prüften wir erneut den Wetterbericht. Die nächsten Drei Tage waren unverändert. Die Vorhersage war jetzt nicht „Grande Bon“ aber es sah solid aus. Und wichtig war, dass wir nur die Aussichten für El Chalten Dorf hatten und nicht für die Bergwelt. Dort ist bekanntlich alles möglich.

Wir frühstückten und gingen den Plan noch einmal zusammen durch. Wir werden also heute losgehen und dann drei Tage unterwegs sein… Plötzlich überkam mich ein Gefühl, keine Ahnung weshalb, aber ich war mir plötzlich nicht mehr so sicher ob es eine gute Idee war die Wanderung wie geplant in drei Tagen zu machen. Über meinen Sinneswandel war Domi erstaunt, ich verstand ihn auch. Irgendetwas sagte mir aber, dass es besser sei für vier Tage Essen mitzunehmen. Ein paar Minuten später war auch Domi auf „meiner Seite“. Sicher ist sicher, wir müssen ja nicht durchdrehen und können den Trek auch in der „normalen“ Dauer von Viertagen ablaufen.

Wie vor jedem Mehrtages-Hike wollten wir unsere sieben Sachen draussen auslegen. Aufgrund des Patagonischen Windes war dies unmöglich und so mussten wir es im Pantera ausbreiten. Domi kümmerte sich um die Ausrüstung (Schlafsäcke, Mätteli, Wassersäcke.) und ich war damit beschäftigt aus unserem Nahrungsfundus für einen weiteren Tag Lebensmittel abzuportionieren. Das Ergebnis war ein bisschen improvisiert. Aufgrund früheren Erfahrungen, wo insbesondere Domi mit meiner „Essensauswahl“ nicht immer ganz einig war, verzichteten wir dieses Mal bewusst auf Schnickschnack. Mit Schnickschnack meine ich hier noch ein „Böhndli für Protein“ und da noch ein Rüebli zur Abrundung. Auch bei den Snacks waren wir eher knausrig. Ich werde es nie vergessen: Zwei klitzekleine Packs Oreos mit je 4 mini Güetzi hatten wir dabei. Als würde das für zwei Trekker reichen, das befriedigt nicht mal den kleinen Zehnen, wenn man in einem Süße-Rausch kommt. Schon beim Einpacken war ich kritisch, aber wollte auch nicht noch etwas reinschmuggeln. Domi und ich sind ein Team und weil er der Meinung war, dass das Essen so ausreichen würde, beliessen wir es dabei. Nein, nein, dass hier ist noch keine Unterstellung an Domi. Mehr ein kleiner Hinweis, wer sich beim Essen reduzieren wollte 😉

Weil wir die Wanderung nun in Viertagen machen wollten, hatten wir keinen Stress. Die erste Etappe war Distanz und Höhenmeter mässig machbar. Trotzdem wollten wir nicht zu spät starten. Die Rucksäcke standen schon bereit als Domi plötzlich in Hektik verfiel. Er konnte seine Sonnenbrille nicht finden. Es kommt nur sehr, sehr selten vor das Domi etwas suchen muss und so war auch ich erstaunt, wo sich die Brille versteckt.

Wir durchsuchten das ganze Auto, einige Orte sogar drei, viermal ohne Ergebnis. Domis Sonnenbrille ist sein Heiligtum, er schaute zu dieser wie zu einem Kind. Ok ich übertreibe ein bisschen, aber ihr wisst, wie ich meine. Die Brille war unauffindbar und so beschlossen wir im Dorf die gestrigen Anlaufstellen abzuklappern. Wir waren an sehr vielen Orten und so fragten wir uns durch viele Geschäfte. Überall war die Antwort dieselbe: „Nichts gesehen“. Mit jeder solchen Antwort wurde Domi betrübter. Als ich auch beim letzten Geschäft mit einer negativen Antwort zurückkam mussten wir uns entscheiden: Eine neue kaufen oder ohne loswandern. Weil es hätte sein können, dass die Brille doch noch wieder hervorkommt, entschied sich Domi ohne loszugehen. So starteten wir viel später als geplant doch noch auf unsere Tour. Wenn du wissen möchtest, was wir in den nächsten Viertagen alles erlebten, dann lies unbedingt auch den zweiten Teil.

Rebi, Juni 2023