Durst, Dankbarkeit & Gönnerei – Villarrica Traverse Teil 3

Während ich gedanklich noch in Schweden um den See spazierte, erblickten meine Augen plötzlich von weitem Wasser. Es war nicht so spektakulär wie du jetzt vermutlich denkst. Es war ein halbstehender Fluss, das ganze hatte mehr etwas einer „Glunggä“. Aber Wasser war Wasser und beinahe hätte ich die Fassung verloren und mich einfach an den Boden gesetzt und davon getrunken. Falls du jetzt nicht weißt, wovon ich spreche, so müsstest du zuerst Teil 1 und Teil 2 lesen.

Jetzt nicht durchdrehen sagte ich zu mir selbst. Domi schnappte sich den Wasserfilter und ging sofort los, um die Flaschen zu füllen. Er nahm einen Probierschluck und meinte nur: „Nicht das Beste, aber wir werden’s überleben“. Schluck um Schluck weichte die Anspannung einem Sicherheitsgefühl.

Wie so oft sprachen wir über verschiedenste Dinge. Über unsere Kindheit, Vergangenheit, die Zukunft, übers Essen (das ist ein vielgesprochenes Thema beim Trekken haha). Verwunderlich wie wir einander immer noch viel zu erzählen haben, obwohl wir schon bald ein Jahr 24h pro Tag, sieben Tage die Woche gemeinsam reisen. Unser Gespräch wurde durch den Anblick des Wasserfalls unterbrochen. Domi sagte: „Noch über diesen Hügel und wir sind da“. Wir gingen über den Hügel und …. Waren noch nicht da. Es folgten drei weitere Steigungen durch Sand. Dann aber hatten wir es geschafft und stellten unsere Rucksäcke ab. In der Nähe gab es einen Fluss und wir beschlossen als erstes dorthin zu gehen, um richtig zu trinken. Eine steile Passage später saßen wir am Fluss. Das Ganze war wie im Film, ein eiskalter Bergbach umgeben von malerischer Landschaft. Und bevor ich es vergesse: Unsere Begleitung war hartnäckig und so hatten wir auch beim Wassertanken keine Ruhe vor den Trabanos.

Es war ein harter Tag und wir hatten Lust uns zu waschen, quasi die Strapazen abzuwaschen. Unsere Kleider deponierten wir am Buchrand und während Domi zögerlich mit seinem Lappen die Beine wusch war ich schon bis zum Kopf im kühlen Nass. Auf seinen Kommentar: „Du bist doch nicht normal“ lachte ich nur. Diesen Moment feierte ich richtig. Keine Ahnung ob andere Leute auch so Momente erleben manchmal, das ist dann, wenn du dich einfach glücklich schätzt auf der Welt zu sein und dankbar bist für alles was du erlebst. Dieses Gefühl trägt dich dann auch, während du dich nackt im kalten Wind trocknest, weil dein Rucksack keine Badetuch Kapazität hergibt.

Der Körper half auch an diesem Tag. Um ihm noch einmal für sein Durchhaltewillen zu danken, trank ich noch eine weitere Flasche eiskaltes Flusswasser. Zurück bei unseren Rucksäcken entschieden wir uns die Packung Tortellini im Zelt zu verspeisen. Das Kochen mit den Bremsen war schon schlimm genug, so wollten wir wenigstens beim Essen einen Moment der Ruhe genießen.

Tag Drei auf unserem Trip erwachte. Als „Essensverwalterin“ hatte ich für den letzten Tag 2dl Milch aufgehoben. Dies für Domi, da er nicht gerne Porridge mag. Als wir gut gestärkt losmarschierten herrschten noch kühle Temperaturen.

Es war schon fast verdächtig ruhig, kein surren um uns herum. Wir wogen uns in falscher Sicherheit, freuten uns schelmisch das wir vor den Bremsen wach waren. Nach dem Aufstieg wurden wir mit einem atemberaubenden Ausblick auf eine Lagune und die umliegende Berglandschaft belohnt. Einfach nur WOW! Alle Anstrengungen waren wieder vergessen und so nahmen wir hoch motiviert den Abstieg auf der anderen Seite unter die Füße. Es war steil und alle paar Hundertmeter wartete ein Schneefeld auf uns. Weil unsere Schuhprofil vom ganzen Vulkangestein schon ziemlich abgewetzt war, ähnelte das passieren der Felder eher einer Skiabfahrt.

Nachdem wir den dritten Tag außer dem Ranger keinen anderen Mensch sahen erschraken wir schon fast, als uns eine Menschen-Gruppe entgegen kam. Wir stoppten und ließen die Leute im mittleren Alter durch. Ein Mann sprach uns an und fragte, ob wir die Traverse gehen würden. Wir bejahten und fragten zurück, ob er der Guide sei. Er lächelte uns meinte ja, gleichzeitig fragte er mich, ob wir aus der Schweiz kommen.

Stolz antwortete ich: „Ja“. Dabei dachte ich mir, dass er uns das fragte, weil wir „professionell“ aussahen mit unseren gut gepackten Rucksäcken. Haha, falsch gedacht! Er meinte trocken, dass er meinen Dialekt im Englischen erkannte. Danke für das 😉

Weiter unten trafen wir weitere fünf Männer. Die strammen Wadli ließen uns vermuteten, dass es sich dabei um die Träger handelte. Als wir einander kreuzten kamen wir ins Gespräch. Der eine meinte sie seien die „Maultiere“ für die Leute. So kann man das auch ausdeutschen. Er zeigte auf die Berge Material um ihn. Fast stolz erklärte er: „Wir tragen Stühle, Tische und die persönlichen Dinge für die Teilnehmer“. Wir hatten genug gehört und gingen weiter, um aus der Lagune Wasser zu filtern.

Die Männer dachten wohl wir wären weg. Um nach dem Wasserfüllen wieder auf den Hauptweg zu gelangen, mussten wir aber noch einmal dort vorbei. Im Augenwinkel sah ich einer der Männer mit einem sehr großen Plastiksack und einer noch größeren Schaufel. Zügig näherte er sich einem Steinhaufen, seine Absicht war klar. Ich traute meinen Augen nicht. Entsetzt über die Tatsache das er den Abfall jetzt vergräbt gingen wir weiter. Etwas anderes blieb uns nicht übrig.

Die nächste Stunde hatten Domi und Ich angeregte Diskussionen über das „Vorgefallene“. Wir fragten uns, warum die Leute diesen „Luxus“ brauchen und ob wie verantwortungslos die Guides mit der Natur umgehen, obwohl diese ihr Kapital darstellt. In solchen und anderen Diskussionen sind wir uns manchmal sehr einig und manchmal gar nicht einig. Das letztere ist meist, wenn wir etwas aus unterschiedlichen Perspektiven anschauen. Höchst bereichernd, wie ich finde.

Unser Fachsimpeln über den Betrag, was die Leute wohl für ihre Glamping-Tour blättern mussten, wurde durch ein bekanntes surren unterbrochen. Nein, Nein und nochmal Nein. Die Bremsen waren zurück, ausgeruht und noch hungriger als am Vortag. Es wurde immer heißer und nicht einmal der Anblick auf eine weisse Lagune tröstete uns über die Schwarm an Tieren.

Es ging gegen Mittag und wir kamen zur Erkenntnis, dass wir Schatten brauchen, um zu essen. Es war wie in der Wüste, weit und breit nichts außer Sand. Domi bot schon an mit unseren Trekking-Stöcken Schatten zu bauen, als wir große Felsen sahen.

Wir kraxelten dort rauf und fanden eine einigermaßen bequeme Nische zwischen großen Steinen. Unser Essensvorrat neigte sich dem Ende zu und auf dem Menüplan stand ein fertig Risotto.

Erstaunt fragte mich Domi, ob mir bewusst sei das man das Risotto 20 Minuten kochen muss. Aja? Normalerweise gehen solche fertig Produkte immer ruckzuck. Du denkst jetzt sicher: Ist doch egal ob paar Minuten länger oder nicht. Normalerweise ja, aber nicht bei einem Trek. Weil wir aber mit Benzin kochten und nur 6dl mitgenommen haben, müssen wir weise mit dem flüssigen Gold umgehen.

Besorgt schaute ich dem Kocher zu wie er feuerte. Ich überlegte, was wenn es nicht reicht, um die Linsen zu kochen fürs Abendessen.

Das Reis wollte nicht weich werden, wir machten den Kompromiss ein bisschen mehr zu kauen am Mittag um hoffentlich am Abend noch lecker-schmecker Linsen zu haben. Du merkst, die Sorgen und Probleme differenzieren sich vom Alltag. An diesem Tag nahm ich auch noch die Essiggurken aus dem Beutel. Das toppte sogar noch die Salatgurke und das Kilo Karotten. Ich hatte als Food-Chef versagt, aber das kann passieren gell.

Wir erreichten den dritten und letzten Schlafplatz. Zuerst wollten wir das Zelt direkt bei der wunderschönen Lagune aufbauen. Der Grund, warum wir es nicht taten, war nicht der fehlende Schatten. Es waren die Tiere… du weisst welche!!! Ein Bad in der Lagune ließen wir uns aber dennoch nicht nehmen. Wir gingen ein Stück zurück und sahen einen Platz am Waldrand.

Ganz leise warteten wir einige Minuten, um zu prüfen ob die Bremsen uns entdecken würden. Unser Versteck flog auf. Als würden wir entscheiden, wo wir ein Haus bauen wollen, gingen wir die Optionen durch und kamen zum Schluss das im Wald wohl der beste Platz sei.

Um ein Sicherheits-Bunker zu haben entschieden wir uns das Zelt sofort aufzubauen. Anfänglich freuten wir uns, weil keine Bremsen in Sicht waren. Und dann passierte es, die Bremsen kamen und nahmen noch ihre Mücken-Cousins, Fliegen-Freunde und alle Insekten-Bekannte mit, die sie finden konnten. Ich sass schon im Zelt, während ich Domi draußen fluchen hörte.

Der normalerweise geduldige Domi wurde immer wie entnervter. Huch, ich schlug vor den Standort noch einmal zu wechseln. Natürlich war das mühsam, weil wir schon beinahe alles aufgebaut hatten. Aber das hier würde niemand aushalten. Also gingen wir zurück an den Waldrand. Das ganze Prozedere dauerte etwa 1.5h, so kann man seinen Feierabend auch verbringen. Ironie Off.

Das Benzin war ein Kämpfer und wir genossen eine Pfanne roter Linsen. Sogar für eine halbe Packung Fertig-Suppe reichte es noch. Während des Essens prüften wir die Karte und waren erleichtert. Für den morgigen Tag waren es unter 10km und viel bergab.

Der Körper hatte sich mittlerweile schon an die Belastung gewöhnt und so mussten wir am nächsten Morgen auch keine Verrenkung oder gar ein Bruch befürchten beim Aufstehen. Das letzte Frühstück war spärlich mit einem Apfel. Als Küchenchef wollte ich das Beste aus der Situation rausholen und wurde kreativ. Ich schnappte mir die drei noch übrigen Wraps vom Vortag und eine Konserven-Dose die wir gezwungenermaßen mitschleppten. Der Abfall ist immer mitzutragen bei Mehrtages-Trek. Ein bisschen Rohrzucker war auch noch übrig und so nahm ich das Tool von Domi und versuchte den Zucker in der Dose zu schmelzen. Mit ein bisschen Wasser funktionierte es und mit viel Vorstellungsvermögen war es Melasse. Ich strich die Masse über die Wraps und probierte. Ja, was soll ich sagen: Durchgefallen im Geschmackstest. War weder lecker noch war es nachhaltig, Stichwort Blutzuckerspiegel.

Wir wanderten los und erhofften uns zum Schluss noch einen gut unterhaltenen Wanderweg. Unsere Hoffnung wurde schon nach den ersten hundert Metern zerstört. Immer wieder mussten wir über umgefallene und kranke Bäume kraxeln oder uns durchs Dichticht drücken. Als es unerwartet bergauf ging meldete mein Bauch Hunger an. Wir hatten kein Essen mehr übrig, außer ein paar Körner Nescafé Pulver.

Vor dem Mittag erreichten wir das Ende der Villarrica Traverse. In unser Vorstellung war es ein heruntergekommener Camping mit einem hoffentlich geöffneten Minimarkt. Es war auch dieses Mal anders als vorgestellt. Ein richtig stylisches Café in Holzoptik stand etwas deplatziert an der Hauptstraße. Alles war superschön eingerichtet. Die Besitzerin erkundete sich nach der Wegbeschaffenheit. Wir waren ehrlich und sagten, dass es nicht gut war. Sie nahm das Feedback ernst und fragte, wie lange wir gewandert waren. Als sie hörte das wir „nur“ dreieinhalbtage unterwegs waren, glaubte sie uns zuerst nicht. Und dann noch ohne Guide, sie war mehr imponiert von der „Leistung“ als wir.

Ich entfernte mich von der Unterhaltung und dachte mir nur, sicher kein Guide, welcher den Abfall vergräbt. Du merkst, der sitzt tief.

Bis nach Pucón waren es rund 70km. Es hätte Busse gegeben, leider nur vom 2km entfernten Wyler Puesco und nur am Abend. Hitchhiken sollte es wiederum richten. Zuversichtlich stellten wir uns an die Straße. Die ersten Autos sausten vorbei. So heruntergekämpft sahen wir gar nicht aus, wir blieben zuversichtlich.

Bisschen später hielt ein Mann mit einem Pick-Up. Es war ein Argentinier, welcher ferienhalber nach Pucón wollte. Checkpot. Unsere Rucksäcke landeten auf der Ladefläche. Domi setzte sich auf den Frontsitz und ich drückte mich zwischen viele Taschen auf die Rückbank.

Der Mann fuhr, als hätte er etwas gestohlen, für einmal war das aber okay. So bekamen wir früher etwas zwischen die Zähne. In Pucón waren wir schon fast heimisch, so baten wir ihn uns direkt vor einem Supermarkt abzuladen. Dort vis-a-vis war noch der Früchtehändler mit den besten Erdbeeren.

Wir kauften uns ein solides Mittagessen und setzten uns an unseren Stammplatz neben dem Supermarkt. Zu unserer Überraschung waren Corry und Mike auch noch im Dorf. Die beiden wollten ein Taxi zurück zu ihrem Appartement nehmen und auf die Frage ob wir mitfahren wollten, sagten wir nicht nein. Wir durften bei den beiden Duschen und unsere Kleider waschen. Als alles wieder „hergerichtet“ war überlegten wir uns, wo wir am Abend schlafen wollten.

Auf dem App Ioverlander sahen wir oberhalb des Dorfs einen Platz. Dieser sahen wir schon als wir die Villarrica Traverse starteten und so fuhren wir zielstrebig in den einzigen Ecken mit Schatten. Der Körper meldete schon wieder Hunger und so machten wir klassische Aufgabenteilung. Domi spannte eine riesige Leine und hängte die Wäsche auf. Zu Feier des Tages kochten wir Kürbis, Bohnen, Reis mit allem, was das Herz begehrte.

Selbstverständlich gönnten wir uns Bier, sogar Ich mixte mir ein Panaché. Wir stiessen auf die gewanderte Traverse an und auf das Leben im generellen. Am nächsten Tag ging die Gönnerei weiter. Domi brachte mir ein Cappuccino ans Bett und später machte ich Brunch, da ist der Familienbrunch auf dem Gurten nichts dagegen 😉.

Wenn du bis jetzt gelesen hast, bist du ein wahrer Fan! Danke interessierst du dich für unsere Erlebnisse und hoffentlich juckt es dich jetzt auch einmal für mehrere Tage in die Natur zu gehen. Was du erleben wirst – ob positiv oder negativ – wird auf jedenfalls unvergesslich sein. Ein Tages Wanderungen sind auch toll, aber wenn ich wählen kann, bin ich lieber mehrere Tage am Stück im Outback.

Rebi, Januar 2023