Die letzten km bis ans schwarze Meer

Der Velocomputer von Domi zeigt 40.3 Grad. Mit müden Beinen versuche ich die Balance nicht zu verlieren, währendem ich mit etwa 7km/h den Berg rauf strample. Wir sind noch gut 50 km vom Schwarzen Meer entfernt, ich nehme euch mit in den Velofahrer-Alltag in Bulgarien.

Wir querten die Donau und fuhren Richtung Russe, die erste Stadt auf bulgarischen Boden. 19km vor der Grenzkontrolle reihten sich die Lastwagen. Krass zu sehen, wie viele Güter tagtäglich rumtransportiert werden. Währenddem ich auf der linken Spur Lastwagen um Lastwagen überholte mit Kennzeichen aus Türkei, Tschechien, Ukraine usw. kam ich ins Grübeln.

Mein Respekt gegenüber den Lastwagen-Chauffeuren war schon immer gross, wuchs jetzt aber noch ein Stück. Keiner weiss, ob sie heute noch die Grenze passieren können. Was machen sie den ganzen Tag? Wo kaufen sie wohl ihr Essen ein? Wann haben sie zuletzt ihre Familie gesehen? Sind die Fahrtwege notwendig? All diese und noch mehr Gedanken kreisen in meinem Kopf.

Kurz vor der Kontrolle wechselte Domi die Spur und nahm den „schnellen-Weg“ durch die Mitte. Wir zeigten wie gewöhnlich unsere Pässe, von der Vignetten-Pflicht sind wir ausgenommen. Bis jetzt hatte kein Grenzbeamter Lust unsere Total 12 Taschen zu überprüfen, was praktisch ist.

Nachdem Rumänien anspruchsvoll war, was Wildzelten anbelangt, freuten wir uns auf neue Begebenheiten. Keine Braunbären, allgemein weniger dicht besiedelt, keine streunenden Hunde.. Hoffentlich erwarten wir uns nicht zu viel. Persönlich wusste ich auch, dass ich wieder mehr vertrauen muss, um schöne Plätze zu entdecken.

Die erste Nacht verbrachten wir am Rande eines Maisfeldes. Wir liefen gute anderthalb Kilometer von der Hauptstrasse weg und wurden mit einer ruhigen Nacht ohne Vorkommnisse belohnt. Wildzelten funktioniert noch, wir waren beide erleichtert und dankbar darüber. Ich liebe das Gefühl am Morgen nicht zu wissen wo wir am Abend sind und bin deshalb glücklich kommt das vertraute wieder auch an fremden Plätzen.

Der Wecker ging um 6.30 Uhr, wir stehen im Moment immer wie früher auf, um die „kühlen“ Morgenstunden zu nutzen. Wir wollen in der nächsten Stadt einen etwas längeren „Internet-Stop“ machen, um zu recherchieren. Die Verfügbarkeiten was Essen & Trinken anbelangt nehmen tendenziell etwas ab, umso mehr geniessen wir es wenn’s verfügbar ist.

Damit der nächste Schlafplatz wiederum klappt, studierten wir beide den Satelliten auf der Maps-Karte. Wenn uns dabei jemand zuhören würde.. Wortfetzen wie: „Da geht’s wohl nicht, ist noch eine Strasse, da ist wohl Industrie, da ist was aber ich sehe nicht was“. Erstaunlich wie man eine Gegend so überprüfen kann. Wir sahen einen See, dieser war unser heutiges Etappenziel. Wir mussten zwar 3km von der Hauptstrasse ins nichts rausradeln, aber es lohnte sich.

Das Bild am See war köstlich. Die Gegend ist wohl ein Geheim-Tipp für die Bulgaren, um kostenfrei Sommerferien zu machen. Einige Wohnwagen-Fahrer richteten sich Autark ein mit Wassertanks und Solarpanel. In der Schweiz undenkbar.

Am nächsten Tag wird es gefühlt immer wie heisser. Nach fast 60km entscheiden wir, währenddem Glace Essen am Schatten, dass wir jetzt noch 37km fahren bis in die nächstgrössere Stadt. Der Grund resp. die Motivation war, dass wir dort einkaufen können und vor allem Wasser auffüllen.

Entscheidungen in „Komfort-Situationen“ also bsp. wie an diesem Tag am Schatten mit Glace sind gefährlich. 😊 Meine Energie-Speicher waren leer und irgendwie kam die Stadt nicht näher. Mit ein bisschen gutem Sound im Ohr schaffte ich es dennoch.

Dort angekommen hinterfragten wir unsere Entscheidung erneut. Es ist zwar noch nicht allzu spät, aber nach mehr als 6h im Sattel wollten wir uns beide nicht mehr aus der Stadt raus bewegen.

Wir checkten wieder einmal die Karte. Grüne Wiese vor dem Spital? Hmm, kann man, muss man aber nicht. Stadtpark? Zu viel Volk. Wald? Let’s have a look. Wir schauten uns verschiedene Plätze an. Es hatte unnormal viele Mücken. Wir sind überhaupt nicht mehr heikel, wenn sie aber scharrenweise in den Mund und in die Nasenlöcher fliegen – Dann wollen selbst wir uns das nicht geben.

Ich sagte zu Domi, dass ich beim Durchfahren genau ein anständig aussehendes Haus sah, wo Leute draussen sassen. Über uns ertönte ein Donner. Ja gut, dann gehen wir dort fragen. Die Leute sprachen ein wenig Deutsch und sagten zuerst, dass wir ins Motel können. Oder in der Wiese neben dem Haus. Alles sei kein Problem.

Domi und ich kennen das „Alles ist kein Problem“ und blieben hartnäckig. Ein paar Minuten später wurde uns das Gartentor geöffnet.

Wir verzogen uns in den hinteren Teil des Gartens, sodass wir das Barbecue der Familie nicht störten. Der Sohn lebt mit seiner Familie dort sowie der Vater mit der Frau und wahrscheinlich hatte auch der Bruder mit der Familie noch ein Zimmer.

Es ist spannend zu sehen, wie solche Konstellationen immer normaler werden, im Gegensatz zu uns. Oder kannst du dir das vorstellen, mit deinen Eltern, Geschwistern, deren Kinder.. zusammenzuleben und gemeinsam TV zu schauen und jede Mahlzeit einzunehmen? Meine Familie bedeutet mir enorm viel, aber nach einem gemeinsamen Brunch, macht es auch nichts wenn alle wieder in ihre eigenen vier Wände gehen 😉 Und dann kann man sich gerne wieder auf ein Raclette treffen, alles andere wäre mir auf Dauer wohl zu viel. Evt. ändere ich meine Meinung noch, je weiter östlich wir reisen.

Wir hatten unseren Frieden und genossen unser Abendessen. Wir kaufen (situationsbedingt) meist im Hunger ein, sodass wir uns auch an diesem Abend leicht überassen. Gespickt mit Ironie witzeln wir noch, dass es doch eine solide Entscheidung war, nebst allen Flaschen noch die Wassersäcke zu füllen. Die Leute im Haus haben sicher kein Trinkwasser. Dies ist halt das Los, wir können noch so viel planen, am Schluss kommt es meist nicht so wie man denkt.

Es sind noch etwa 25km bis ans Meer. In meiner Vorstellung alles flach oder bisschen abwärts. Alles super easy, mit dieser Annahme schlief ich beruhigt ein.

Am nächsten Tag verstand ich die Welt nicht mehr. Hügel um Hügel. In Varna angekommen entschieden wir uns (nach 3h Recherche) dort zu bleiben und in einem Hostel einen Ruhetag einzulegen. Am Abend machten wir einen Spaziergang ans Meer. Ich denke mir: Warum fliegen Leute ans Meer? Man kann einfach 45 Tage Fahrrad fahren und dann ist man auch dort 😉

Wir geniessen die Pause in Varna und besichtigen ehrlich gesagt gar nichts. Ah doch, gestern Abend schauten wir bei einem chinesischen Restaurant vorbei. Dies ist Quasi der Kulturelle Teil unseres Stops. Das Restaurant wurde uns empfohlen, als ich den Hostel-Besitzer nach einem Ort fragte mir grossen Portionen.

Er hat uns nicht zu viel versprochen, nach Nudeln, Reis, Frühlingsrollen, Chinesischem Brot… schreibe ich nun zufrieden diesen Blog-Beitrag.

Falls du Lieber Leser uns Tipps hast für Bulgarien oder gar für unser nächstes grösseres Ziel Istanbul – Dann melde dich bei uns. Wir freuen uns auf einen Austausch!

Rebi, Juni 2022