Dessert in Rumänien

Domi und ich sitzen unter einem Rosen-Pavillon in einem gepflegten Garten. Das weisse Tischtuch gibt ein stimmiges Bild ab, mit dem makellosen Rasen rundum. Vor uns steht ein Becher Glace, eine grosse Schüssel Erdbeeren und selbstgemachter rumänischer Apfelkuchen. Gegenüber sitzt eine Frau, links davon die Schwester und Rechts der Vater, welcher mir händisch zu verstehen gibt, dass ich mehr Kuchen essen soll.

Wir erwachen mit den ersten Sonnenstrahlen in einem Zelt zwischen Apfelbäumen. Tönt malerisch, oder? In Realität habe zumindest Ich eine durchzechte Nacht hinter mir. Als ich am Vorabend zu Domi sagte „hier“ und Schnur Straks zum Eingang fuhr, wusste ich nicht das ich nicht besonders gut schlafen werde. Als mir ein Mann die Tür öffnete, war ich schon auf die Sprachbarriere vorbereitet und zeigte ihm meinen Handy-Display. Auf Rumänisch steht dort: „Dürfen wir im Garten zelten..?“.

Während er mich verwirrt anschaute, tauchten seine Frau und seinen Sohn im Tür Greis auf. Mit Händen und Füssen versuchte ich unermüdlich mein Anliegen zu erklären. Er fragte mich, ob ich allein als Frau unterwegs sei. Ich dachte mir, was für eine Frage – Auch wenn noch, hat ja nichts mit meiner Frage zu tun. Aber ähä, da habe ich die Rechnung ohne den Mann gemacht. Als ich nämlich auf Domi zeigte, welcher geduldig oben an der Hauptstrasse wartete willigte er dem Übernachtungs-Vorhaben zu. Er ist wohl kein Tourenvelofahrerinnen-Fan.

Später taute er aber auf und sprach zumindest zu Domi, er zeigte ihm stolz die Toilette (siehe Bild 😊) und beschenkte uns mit Äpfeln und Obstsaft. Eine unerwartete und schöne Geste.

Wir sind schon ziemlich im Hinterland gelandet, dies dachte ich mir schon die vergangenen Tage. Wir durchfuhren viele Dörfer, wo Kühe frei rumliefen und die Leute ausser der Selbstversorgung keine Einkommensquelle haben.

Weil uns fürs morgige Frühstück noch ein Joghurt fehlte, watschelte ich in meinen Flip-Flops zu einem Geschäft, dies war keine 100m entfernt. Als ich die Tür-Klinke drückte, war ich nicht sicher ob das Geschäft überhaupt geöffnet hat. Es war dunkel, zwei Verkäuferinnen deuteten mir aber, dass ich reinkommen soll. Ich wurde gemustert als wäre ich außerirdisch. Intuitiv lief ich zum Kühlregal, um mein Spiegelbild anzuschauen in der Scheibe. Superfrisch sehe ich nicht aus, aber sonst – wie man halt aussieht.

Unbeirrt suchte ich das Joghurt, ein Typ beobachtete mich genau. Er starrte mich nicht unauffällig an, sondern stellte sich immer wieder mitten in den Weg und glotzte. Ich bin mir sicher: Niemand wollte mir etwas böses. In diesen Regionen von Rumänien gibt es einfach keine Touristen mit Hut, Sonnebrille und Flip-Flops. Innerlich musste ich dann aber schon ein wenig grinsen als ich an der Kasse Bună ziua sagte und mit Lei bezahlte.

Zurück beim Zeltplatz schaute ich mich etwas um. Rechts neben uns stand ein Haus im Rohbau, keinen halben Meter des Gartenzauns. Domi meinte, hier gibt es keinen Parzellenabstand. Ein paar Typen sind am Bauen, etwas vor 19.00 Uhr gehen sie aber dann. Für uns super, dachten wir. Eine halbe Stunde später kamen andere Typen, wohl die Nachtschicht.

In der Nachbarschaft gab es unzählige Hunde. Bis jetzt habe ich kein Grundstück gesehen, dass keine Hunde hatte. Ein Rumäne erklärte uns einmal den Grund, weshalb er mehrere Hunde besitzt. Es ist wie folgt: Wenn einer „kaputt“ (so drückte er es aus, da er wie viele etwas deutsch konnte vom Arbeiten in DE oder CH), beim Strassen-Queren, hat er noch weitere für die Kinder. Plausibel ja, aber auch traurig – Ich sah extrem viele Tote Tiere auf der Strasse.

Zurück in den Garten: Etwa 30m von meinem Kopf war die Hauptstrasse mit viel Auto und Fussverkehr. Die ganze Nacht schwirrte der Gedanke in meinem Kopf, dass jemand an unsere Taschen geht.

Wie immer am Morgen, wenn alles noch da ist denke ich mir: Wie unrealistisch! Wir sind auf einem privaten Grundstück, niemand will uns etwas stehlen oder uns überfallen. Aber die Angst ist halt nichts Rationelles.

Nachdem wir unser grobes Standart-Frühstück verputzten, stiegen wir auf unsere Räder. Ca. 120km trennten uns von der Hauptstadt Bukarest. Der Plan war nicht durchzufahren, sondern etwas nach der Hälfte noch einmal zu übernachten. Am besten irgendwo im Grünen, ohne Hunde, Strasse, Diebe. Einfach nur gechillt, dies war unsere Vorstellung.

Beim in die Pedale treten wird mir bewusst, wie unglaublich müde meine Beine sind. Ich bin dankbar kann ich im Windschatten fahren, so kommen wir wenigstens gut vorwärts. Die Landschaft ist unspektakulär. Am Mittag hielten wir kurz und besprachen den weiteren Plan. Wir benötigten dringend Internetverbindung, um die Unterkunft in Bukarest klar zu machen. Das nächste grössere Dorf lag 20km entfernt, dort kauften wir ein fürs Abendessen. Nun brauchten wir noch Wasser, leider kam nirgends eine Wasserstelle.

Auch die fast immer sichere Quelle „Friedhof“ liess uns im Stich. Bei einer Tankstelle wollte er es uns verkaufen. Das Leitungswasser sei nicht trinkbar. Es wurde immer später und wir fuhren immer in dichter bewohntes Gebiet. Ich stieg vom Rad ab und sagte zu Domi: „Wir müssen wohl wieder fragen, wild-zelten geht hier nicht, da es zu viel Volk hat“. Er war wenig begeistert über meine Aussage, wusste aber dass ich wohl recht habe.

Also umdenken, wir fuhren etwas langsamer und schauten rechts und links und wieder rechts. Wir scannten die Gegend nach jemandem der draussen ist und das Gebäude einigermassen vertrauenswürdig aussah. Es war wie verhext, wir fanden nichts.

Domi meinte schon, dass wir sonst halt durchziehen nach Bukarest, diese Idee fand dann ich wiederum nicht so toll – Weil ja, wohin dann in der Stadt? Ein Ortsschild Namens „Giulia“ kam und zeigte rechts. Das ist wohl das letzte Dorf, dann sind wir im äusseren Ring von Bukarest. Wir bogen ab und fuhren rein. Alles sah ziemlich runtergekommen aus, etliche Hunde querten gelangweilt die Strassen und in den Ecken sassen Leute rum die sichtlich nichts zu tun hatten. Puh, nicht besser hier dachten wir beide.

Nach ein paar hundert Meter sagte ich zu Domi er solle anhalten. Ich habe etwas gesehen. Ich fuhr zum Eingang eines sehr gepflegten Anwesens. Normalerweise würde ich hier nicht fragen, aber zumindest Trinkwasser werden wir wohl kriegen. Zu unserem erstaunen kam eine Frau auf uns zu, begrüsste uns freundlich in Englisch und bat uns herein.

Sie fragte, was wir vorhaben. Wir dachten beide: „Hier in deinem Garten zelten am liebsten“, aber anständig wie wir sind, haben wir es ein bisschen umschrieben und gesagt das wir vor allem Wasser bräuchten.

Sie sagte, dass wir mitkommen sollen. Wir waren beide superkritisch, die Situation war surreal. Niemand behandelte uns in Rumänien bis jetzt so zuvorkommend. Während wir unsere Flaschen füllten schauten wir uns um. Wir spürten einander, zuhinterst im Garten könnten wir unser Hilleberg schon platzieren.

Als könnte die Frau unsere Gedanken lesen sagte sie, dass sie leider keine Aussen-Toilette hat. Für uns wäre das kein Problem gewesen, die Frau hatte aber wohl Angst das wir ihr in den Garten Sch******. Sie fragte, ob sie uns etwas anbieten kann – eine Eiscreme, ein Dessert usw.

Ja bei einem solchen Angebot… da sagen wir nie Nein!

Wir haben so viele offene Fragen über das Land, sodass wir die Chance nutzten. Sie erklärte uns, weshalb ein Grossteil der Häuser nicht fertig gebaut sind. Die Rumänen gehen ins Ausland und verdienen Geld. Dann bauen sie riesige Häuser (Platz, den sie nie ausnutzen), durch die Corona-Krise funktionierte schon dies nicht wie gewohnt. Und das Hauptproblem ist dann, dass sie die Häuser nicht fertigmachen können, weil das Ausmass um alles fertig zu stellen ihre Möglichkeiten übersteigt.

Sie erklärte uns auch, dass wir uns in einer superschönen Gegend befinden, dass Bukarest die sicherste Stadt von Europa sei und dass es kein Problem ist Arbeit zu finden. Das alles war für uns sehr widersprüchlich, zudem was wir die letzten zwei Wochen sahen. Die Familie gehört definitiv zur Oberschicht und hat eine ganz andere Wahrnehmung zum Land als die Leute welche wir bis jetzt sahen.

Um die Geschichte noch fertig zu machen: Wir drückten keine Heringe in den englischen Rasen. Die Frau sagte uns, dass sie einen superschönen Platz am Waldrand wisse. Wir dachten uns: Bisschen Gras, aber nicht zu hoch das das Zelt am morgen nicht nass ist, ein Tisch, vielleicht noch Wasser..

Mit dem Audi fuhr sie vor, Domi und Ich mit unseren Fahrrädern wie die Irren hinterher. Sie stoppte an einem Grundstück mit hohem Gras. Dies war eine Fläche Land, welche sie kaufen konnten. Links und rechts, standartmässig Grundstücke mit je etwa 10 Hunden. Sind wir richtig? Ist dies der Platz, von welchem die Frau schwärmte?

Völlig überzuckert von dem Nachmittags-Dessert nickten wir und freuten uns. Es hätte nicht unebener sein können und die Strasse nicht näher.

Als wir aber im Zelt waren, es draussen stürmte, wie noch selten und die Pasta Aldente in meinem Teller lag, waren wir beide einfach nur glücklich dort zelten zu dürfen. Es sind die kleinen Dinge.

Über diese Begegnung diskutierten wir am Abend noch eine Weile. Der Wohlstand beeinflusst die Probleme.

Rebi Mai 2022