77 Tage und 3‘907 km später – Fazit

Im letzten Blog-Beitrag (Aufbruch in der Schweiz) reflektierte ich in zwei Teilen das Losfahren und Loslassen in der Schweiz. Mit dabei waren einige Antworten auf im Vorfeld häufig gestellte Fragen. Auch habe ich ein paar persönliche Dinge geteilt und über Sorgen und Ängste vor der Reise berichtet.
Falls du diesen Beitrag noch nicht gelesen hast, lade ich dich dazu ein.

Jetzt nach 77 Tagen unterwegs sein möchte ich ein Fazit ziehen. In diesem Text erfahrt ihr ob ich es bereut habe zu gehen, wie zufrieden wir mit unserer bisherigen Routenwahl sind, einen Einblick in den Alltag, wie es in der Beziehung läuft, wie es um Körper, Geist & Herz steht und ob die Ausrüstung zweckmässig ist.

Losfahren & gehen

Es gab bisher kein Tag, an dem ich es bereute, zusammen mit Domi aufzubrechen. Nicht einer. Ich bin nach wie vor zu 100% davon überzeugt, dass die kostbare Zeit, welche wir auf unserer Reise verbringen sehr sinnvoll investiert ist.
Als wir gingen, dachte ich, dass ich mich rasch an das „neue“ Leben gewöhnen werde. Mir wird erst jetzt bewusst, dass es noch ein paar Tage oder Wochen brauchen wird, bis ich vollständig im „Reisen“ angelangt bin. Manchmal ist es beinahe beängstigend wie lange es braucht, um mich von den Alltags und Gesellschaftlichen Themen loszulösen. Damit will ich nicht sagen, dass mich das Geschehen in der Schweiz nicht mehr interessiert – Im Gegenteil. Ich begreife ganz langsam, wirklich ultralangsam, dass wir unsere Reise nur für uns machen. Es ist eigentlich egal was wir den „lieblängen“ Tag machen, Hauptsache es stimmt für uns. Ein spannendes Thema, wäre ein eigener Blog wert.

Route bisher

Ostwärts zu fahren ist nicht die „übliche“ Route, wie ich in Gesprächen mit anderen Velofahrer feststellte. Die meisten, welche wir bis jetzt trafen nahmen den Weg via Albanien und Griechenland. Domi kennt diese Region schon von seiner ersten Reise, deshalb ist es gut, wie es ist. Wir sind nicht normal, also müssen wir auch nicht die gängigste Route wählen, oder? 😉

Im Südtirol ertränkten wir uns mit Kaffee, wanderten & fühlten das mediterrane Flair in Bozen. In Österreich waren wir damit beschäftigt die To Do’s von Domi zu erfüllen. Wiener Schnitzel, Sacher-Torte und das Dritte habe ich vergessen. Es war schon stressig 😉. Slowenien passierten wir in nur zwei Tagen und in Ungarn steuerten wir den Balaton an. Es war Vorsaison und irgendwie habe ich die Atmosphäre etwas komisch in Erinnerung, da vieles noch geschlossen war. In Rumänien erlebten wir einige Abenteuer und trafen zum Glück keiner der 6‘000 Braunbären. Die Küste von Bulgarien war absolut sehenswert, nach wenigen Tagen war ich aber auch froh wieder abseits zu radeln. Der Schwumm im Schwarzen Meer war ein richtig tolles Erlebnis. Das Verkehrs-Chaos in Istanbul mal ausgeklammert, gefällt mir die Türkei bis jetzt am besten.

Bezüglich dem weiteren Verlauf unserer Route ist sehr vieles möglich. Bei immer wechselnden Grenz-Gegebenheiten ist es wichtig nicht allzu eng zu denken. Klar war unser Ziel China mit dem Velo. Aufgrund Corona, haben wir diese Idee etwas zurückgestellt und uns mehrere genau so tolle Routen überlegt. Gefühlt sind wir erst am Anfang unseres Abenteuers, weder Domi noch Ich wissen, wie lange wir Lust haben zu Reisen.

Alltag

Wie im normalen Leben hat sich auch bei uns eine Art Alltag oder wie ich sagen würde ein Lifestyle etabliert. Dieser ist nicht abhängig vom Stundenplan der Kinder, vom Chef, Verabredungen mit Freunden oder regelmässigen Hobbys. Sondern von Dingen wie der Beschaffenheit unserer Oberschenkel, dem Wetter, dem Ort oder sonstigen Umweltfaktoren. Wir stehen auf (aktuell immer wie früher, weil es uns sonst grilliert im Zelt), Frühstücken, räumen das Zelt zusammen und fahren los. Unterwegs werden wir aktuell mind. einmal zum Tee eingeladen, füllen ein paar Mal Wasser auf, machen Mittagspause und suchen einen Schlafplatz. Danach kochen wir Abendessen und schlafen. Tönt recht unspektakulär, aber es „fägt“ imfall. 😉 Nach diesen 77 Tagen merke ich wie unglaublich gut mir die Natur tut. Die meiste Zeit sind wir draussen und mittlerweile schlafe ich tausendmal besser in unserem Zelt, als in einer Unterkunft. Auch sollte sich mein Vitamin D Mangel jetzt etwas beruhigen, mehr Sonne ist nicht möglich.

Beziehung

Wir sind noch ein Paar und manchmal auch schon verheiratet, je nachdem wie viel Lust wir haben zu diskutieren mit Einheimischen. Wir sind nach wie vor ein super Team und ergänzen uns perfekt. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde das wir uns immer einig sind und alles immer nur rosarot ist. Es gab einige Momente wo wir unterschiedliche Meinungen hatten, aber bei all den Entscheidungen wäre es auch nicht normal, wenn wir immer das gleiche Denken würden. Dazu kommt, dass wir beide gerne viel denken. Am Abend haben wir dann immer Zeit über Lebensthemen zu philosophieren oder geben einander ein Update was wir so für Infos erhalten haben aus der Heimat. 😊 Wir sind froh einander zu haben. Stimmt doch Domi, oder? 😉

Körper

Die Beine können mittlerweile nur noch Velofahren, alle anderen Aktivitäten möchte der Körper lieber nicht mehr ausführen. Oder besser gesagt, er streikt einfach. Zwischendurch wanderten wir etwas, das war nötig, es wäre Jammer Schade, wenn ich mein Lieblings-Hobby verlernen würde.
Fun-Fact: Sobald wir Sight-seeing betreiben oder einen Ruhetag ansteht beschränken wir unsere Aktivitäten auf ein Minimum. Wir nehmen die Rolltreppe, nicht das wir uns beim Treppensteigen noch etwas brechen. Saftey first, gell! Unsere Ausdauer hat sich sicherlich verbessert und ich spüre keine unerträglichen Schmerzen mehr nach ein paar intensiven Tagen.
Ausdauer-Sport wie wir ihn betreiben sei bekanntlich gut für die Fettverbrennung. Tatsächlich bin ich aktuell damit beschäftigt meinem Körper ausreichend Futter zur Verfügung zu stellen. Besonders an den heissen Tagen fällt es mir schwer viel zu essen. Wir „schraubten“ immer wieder an besseren Lösungen um nicht von der Pace zu fallen. Zum Beispiel gab es dann reichhaltige Salate in Öl gebadet zum Abendessen und natürlich verpassen wir keine Tankstelle für eine Glace. Letztens war ich körperlich extrem erschöpft, alles Öl und Glace half nicht mehr. Ich telefonierte Maria-Theresia Zwyssig, sie war selbst schon mit dem Velo auf der ganzen Welt unterwegs. Sie sagte mir: „Es ist kein Sprint, es ist ein Marathon“. Immer wenn ich jetzt merke, dass ich eine Pause brauche, denke ich an ihre Worte. Sie hat Recht, mein Fazit ist: Ich habe nur einen Körper und eine Gesundheit, nicht durchdrehen.

Geist

Früher war ich nicht besonders organisiert oder plante gerne. Sicher auch Jobbedingt hat sich das verändert und ich mag es Pläne zu haben (OK ein bisschen untertrieben) ich brauche Pläne und stelle mich gerne auf Situationen ein. Lange versuchte ich dies beim Reisen beizubehalten. Je weiter östlich wir kamen, desto schwieriger wurde dies. So sehr ich auch plante, berechnete und abschätzte – Es kam immer anders. Kaufen wir Wasser ein, kam sicher 500m weiter eine Quelle, buchten wir eine Unterkunft und befolgten die Check-in Zeit, ist diese sicher noch nicht bereit. Suchten wir ein bestimmtes Lebensmittel gibt es alles nur das nicht. Es gab unglaublich viele solcher Situationen, die mich zwangen flexibel zu werden. Ich bin längst nicht dort, wo ich hin möchte. Aber nach dieser Zeit merke ich, wie kleinkariert ich oftmals denke und welcher Weg manchmal entspannter wäre.

Ein anderes Thema ist die Liebe Zeit: Im Alltag versuche ich immer meine Zeit effizient einzuteilen und sogenannte Lehrläufe zu vermeiden. Einfach mal zu chillen und nichts zu machen, erlaubte ich mir sehr selten. Während der Reise, gab es schon viele Situationen wo ich nichts tun konnte. Mit nichts meine ich nichts. Am Anfang war das ein regelrechter Kampf mit mir selbst. Heimlich versuchte ich mir schon zu überlegen was ich dennoch tun könnte, falls es zu einer solchen Situation kommen würde. Quasi ein „Langeweile-Backup“. Auch Mithilfe von Domi schaffe ich es in kleinen Schritten davon wegzukommen. Mittlerweile ist es kein Stierkampf mehr, sondern ich merkte wie es Pausen braucht. Und wenn mein Hirn in dieser „Pausen-Zeit“ am liebsten sinnlose Koch-Videos anschaut, dann braucht das Hirn das wohl in der Hoffnung das es sich dann später wieder gescheiteren Themen widmen kann.

Herz

Es viele Dinge die ich „aufräumen“ muss resp. darf (damit meine ich nicht die Apps auf dem Handy oder die Art und Weise wie ich meine Kontakte abspeichere). Es sind die Themen rund um mich selbst. Als Fazit merke ich, wie ich mit der Zeit dankbarer werde. Jeden Tag treffen wir viele Leute die uns gut gesinnt sind und interessiert sind an dem was wir machen. Es ist für mich sehr erfüllend mit fremden Menschen einfach nur dazusitzen und den Moment zu geniessen. Oft auch, ohne dass wir uns verständigen können. Und wenn wir uns verständigen können, umso besser. Ich habe auf der Reise schon so viel gelernt.

Aja und bevor ich es vergessen habe, da ist ja noch Hashimoto!

Bezüglich der Autoimmunerkrankung Hashimoto ist wohl die grösste Erkenntnis, dass mich niemand retten wird. Bis heute kam niemand auf einem weissen Pferd und sagt mir, dass ich etwas ändern muss. Diese Reise zeigte mir bis jetzt auf eine sehr harte Art und Weise, das ich mich endlich mit mir und meinen Bedürfnissen auseinandersetzten muss. Ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Zeit mit mir selbst, Fluch und Segen gleichzeitig.

Domis Unterstützung dabei ist berührend! Zum Beispiel hören wir mittlerweile beide stundenlang Podcasts zum Thema Hormone.  Er nennt sich „Hormon Reset Podcast“ und Domi ist aktuell gerade in der Folge wo die Zyklusphasen erklärt werden sowie die Östrogendominanz. Falls ihr Fragen habt, wendet euch an ihn.

Auch habe ich gelernt, dass Yoga gut sei bei Hashimoto. Heute Morgen habe ich mir die erste Sequenz gegönnt, gut sah das niemand. Ich habe keine Ahnung, aber Mithilfe von Youtube und auf meiner Eierkarton-Matte, komme ich dem ganzen dann schon näher. Ich hoffe, dass wenn ich wiedereinmal ein Fazit ziehe – ich zumindest den Boden berühren kann oder der „herabschauende Hund“ keine Qual mehr ist 😉. Übrigens, Domi sagte, dass er gerade mithilft beim Yoga. Zusammen sei man motivierter, wie Recht er hat und wie schön einander zu haben.

Die Essgewohnheiten umzustellen auf weniger Entzündungsfördernde Lebensmittel ist unterwegs nicht ganz so einfach, wie man sich das vorstellt. Woher kommt dann der „Pönsch“, wenn nicht von einem Brot oder einem Teller Pasta? Der Kaffee-Konsum reduzierte ich (Hah, hättest du nicht gedacht, oder? 😉) Aber ganz darauf verzichten konnte ich bisher nicht.

Dafür merkte ich, wie gut mir weniger Stress bekommt. Stress ist (gemäss meiner fundierten Recherche 😉) wohl das schlimmste für den Körper.

Und last but not least habe ich einen ersten Termin für eine Therapeutische Sitzung online. Ich bin sehr gespannt, was mich da erwarten wird. Der Termin ist schon am frühen Abend, sonst hätte ich mit Taschenlampe im Zelt über Zoom sprechen müssen 😉

Ausrüstung

Im Blog-Beitrag von Domi über die Ausrüstung hast du erfahren, was wir warum dabei haben. Am Anfang konnte ich mir kaum merken auf welcher Seite ich den Schlafsack verstaut habe. Mittlerweile habe ich mich ans ein und ausräumen gewöhnt und ich habe auch schon einige „Optimierungen“ vorgenommen. Es gab Situationen, wo ich mir wünschte einen „Haushalt“ zu haben. Aber wir haben uns mittlerweile so arrangiert, dass wir tiptop aus den Taschen leben können und es uns an nichts fehlt. Es ist ein befreiendes Gefühl nur das nötigste dabei zu haben.

Eigentlich wollte ich noch das „Schönste Erlebnis“ aufschreiben. Leider habe ich darauf keine konkrete Antwort. Jeder Tag war auf seine Art besonders. All die Begegnungen, wunderbaren Landschaften und die köstlichen lokalen Spezialitäten tragen mich auch an den Tagen wo die Beine brennen und die Lunge voller Staub ist.

Ich weiss nicht was noch alles passiert auf unserer Reise. Genauer gesagt weiss ich nicht einmal was morgen ist. Wahrscheinlich fahren wir Velo, aber wer weiss.

Danke an Domi für diese Zeit auf unseren „Göpplen“ und ein riesiges MERCI an alle die unsere Blogs lesen, ab und zu den Insta-Kanal besuchen und einfach aus der Heimat mitfiebern und an uns denken.

Rebi Juli 2022